Joseph Anton
Herrn, der ein wenig krumm neben seiner betulichen Gattin stand, die Überbleibsel eines berühmten Schnurrbarts im Gesicht. Er war Enoch Powell schon einmal begegnet, in den Siebzigern, als er noch in Clarissas Haus in der Lower Belgrave Street gewohnt hatte. Er war zu Quinlan’s Kiosk um die Ecke gegangen, um sich eine Zeitung zu kaufen, und in der Ladentür kam ihm Enoch Powell entgegen, damals auf dem Gipfel seines dämonischen Ruhmes, denn seine ›Ströme von Blut‹-Rede, die für das Ende seiner politischen Karriere gesorgt hatte, lag erst wenige Jahre zurück. Wie der Römer scheine ich den Tiber mit einem Schaum von Blut bedeckt zu sehen , hatte er gesagt und damit die Angst aller britischen Rassisten vor finsteren Ausländern auf den Punkt gebracht. Damals in Quinlan’s Kiosk hatte der friedfertige junge Einwanderer ernsthaft in Erwägung gezogen, dem berüchtigten Enoch eins aufs Maul zu hauen, und er war stets ein bisschen enttäuscht von sich selbst, es nicht getan zu haben. Doch Lower Belgrave Street wimmelte vor Leuten, die eine blutige Nase verdient hätten – Madame Somoza, die Frau des nicaraguanischen Diktators, die nebenan in der Hausnummer 35 wohnte, und die netten Lucans in Nummer 46 (damals hatte Lord Lucan noch nicht versucht, seine Frau umzubringen, und stattdessen das Kindermädchen erwischt; aber er arbeitete daran). Wenn man einmal damit anfing, Leuten eine reinzuhauen, war es schwer, ein Ende zu finden. Vielleicht hatte er gut daran getan, an dem funkeläugigen Enoch mit der Hitler-Gedächtnis-Oberlippe vorbeizugehen.
Und nun stand Powell zwanzig Jahre später wieder vor ihm. »Oh, bitte nicht«, sagte er zu seinen Beschützern. »Eigentlich würde ich gern darauf verzichten.« – »Och, komm schon, Joe, der ist doch jetzt ein alter Opa«, riefen alle. »Mrs. Powell hat es mit dem Alten echt nicht leicht. Sie möchte dich wirklich gern kennenlernen, das würde ihr viel bedeuten«, kriegte Stanley Doll ihn schließlich herum, und er und Elizabeth willigten ein, Margaret Powell kennenzulernen. Als junge Frau hatte sie in Karatschi im selben Viertel wie seine Verwand ten gelebt, und sie wollte mit ihm über alte Zeiten plaudern. Der alte Enoch stand krumm daneben, nickte stumm und war zu tattrig, um noch eins aufs Maul zu bekommen. Schließlich verabschiedete er sich mit einer höflichen Ausrede, nahm Elizabeth beim Arm, drehte sich um und stand Margaret Thatcher gegenüber, mit Handtasche und Haarsprayfrisur, die ihn mit ihrem typischen kleinen, krummen Lächeln ansah.
Niemals hätte er die Eiserne Lady für einen Schmusemenschen gehalten. Während der gesamten kurzen Unterhaltung fasste die ehemalige Premierministerin ihn an. Hallo, mein Lieber , ihre Hand ruhte leicht auf seiner, wie geht es Ihnen , ihre Hand streichelte seinen Unterarm, kümmern sich diese wundervollen Leute gut um Sie? , ihre Hand lag jetzt auf seiner Schulter, er sollte etwas sagen, sonst würde sie noch anfangen, ihm die Wange zu streicheln. »Ja, danke«, erwiderte er, und sie nickte ihr berühmtes Wackeldackel-Nicken. Schön, schön, ihre Hand streichelte wieder seinen Arm, also, passen Sie gut auf sich auf , und dabei wäre es geblieben, hätte Elizabeth nicht sehr entschlossen gefragt, was die britische Regierung zu tun beabsichtige, um der Bedrohung ein Ende zu machen. Derart harte Worte aus dem Mund eines so hübschen jungen Dings versetzten Lady Thatcher in milde Überraschung und ließen sie unmerklich zurückzucken. Oh, meine Liebe , jetzt bekam Elizabeth ihre Streicheleinheiten, ja, das muss wirklich schwer für Sie sein, aber ich fürchte, solange es in Te heran keinen Machtwechsel gibt, wird sich nicht viel ändern . »Das ist alles?«, fragte Elizabeth. »Ist das Ihre Politik?« Die Thatcher-Hand zog sich zurück. Ihr durchdringender Blick wanderte ins Leere. Ein unmerkliches Nicken, ein schleppendes Hmhmm , und dann war sie weg.
Elizabeth war für den Rest des Abends sauer. Das ist alles? Einen anderen Plan haben die nicht? Doch er dachte an Margaret Thatchers Hand, die seinen Arm streichelte, und lächelte.
*
Der vierte Jahrestag der Fatwaverlief hitzig wie immer. Aus Teheran war das übliche haarsträubende Getöse zu hören, der immer lauter werdende öffentliche Protest gegen ihren mörderischen kleinen Plan schi en Ayatollah Khamenei, Präsident Rafsandschani und den Sprecher der Majlis, Nateq Nuri, offenbar nervös zu machen. Der US -Kongress, die UN -Menschenrechtskommission und sogar
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