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Joseph Anton

Joseph Anton

Titel: Joseph Anton Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: S Rushdie
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hob er den Arm, und als der Jubel sich legte, sprach er in leichtem Ton von Hexenjagden und der gefährlichen Macht der Komödie und trug seine Geschichte ›Christoph Kolumbus und Königin Isabella von Spanien erfüllen ihre gemeinsame Bestimmung‹ vor. Louise hatte ihn darum gebeten; er sollte ein Schriftsteller unter Literaturmenschen sein und sie an seinem Werk teilhaben lassen. Dann kam Louise und verlas eine Solidaritätsbekundung von Außenministerin Barbara Macdougall, und schließlich trat Bob Rae auf die Bühne und umarmte ihn – als erstes Regierungsoberhaupt der Welt – und der Jubel brach von neuem los. Diesen Abend würde er niemals vergessen.
    Die iranische Botschaft in Ottawa hatte sich bei der kanadischen Regierung beschwert, nicht von seinem Besuch in Kenntnis gesetzt worden zu sein. Das war der beste Witz der Woche.
    *
    Und vor und während und nach dieser Reiserei zogen Elizabeth und er in ihr neues Haus. Er hätte sich dieses Haus niemals ausgesucht: Es lag in einer Gegend, in der er nie hatte leben wollen, war zu groß, weil die Polizisten auch darin Platz haben mussten, zu teuer, zu altmodisch. Doch David Ashton Hill hatte ganze Arbeit geleistet, Elizabeth hatte es wunderschön eingerichtet, und er hatte ein fantastisches Arbeitszimmer – und außerdem war es sein Zuhause, nicht durch Mittelsmänner für ihn angemietet oder von der Polizei für ihn bereitgestellt oder von Freunden aus Hilfsbereitschaft überlassen; deshalb liebte er es und bezog es in einer Art ekstatischen Hochgefühls. Trautes Heim, Glück allein. Das Bimbomobil fuhr ihn durch das elektronische Tor, die gepanzerte Garagentür hob sich und senkte sich hinter ihm, und er war da. Kein Polizist würde ihn jemals hier wegkriegen. Bruder, ich bin zu alt, um wieder umherzuziehen , hatte König Karl II . von England nach der Restauration gesagt, und dieses Gefühl teilte er voll und ganz. Er dachte auch an Martin Luther: Hier stehe ich. Ich kann nicht anders. Natürlich hatte Martin Luther nicht von Immobilien gesprochen. Dennoch entsprach es seinen Gefühlen. Hier stehe ich, sagte er sich. Und hier sitze ich auch und arbeite und strample auf meinem Trimm-dich-Rad und sehe fern und bade und esse und schlafe. Ich kann nicht anders.
    *
    Bill Buford hatte ihn gebeten, der Jury zur Wahl der ›Best of Young British Novelists 1993‹ beizutreten. 1983 hatte er zusammen mit Ian McEwan, Martin Amis, Kazuo Ishiguro, Graham Swift und Julian Barnes auf der allerersten Liste gestanden. Jetzt las er die Arbeiten jüngerer Schriftsteller: Jeanette Winterson, Will Self, Louis de Bernières, A. L. Kennedy, Ben Okri, Hanif Kureishi. Seine Mit-Juroren waren A. S. Byatt, John Mitchinson von Waterstone’s und Bill selbst. Es gab erfreuliche Entdeckungen (Iain Banks) und Enttäuschungen (Sunetra Gupta war keine britische Staatsbürgerin und kam deshalb nicht in Betracht). Nachdem man sich über gut die Hälfte der zwanzig Finalisten schnell einig war, begannen die interessanten Meinungsverschiedenheiten. Er stritt mit Antonia Byatt über Robert McLiam Wilson und verlor. Dafür unterlag sie im Kampf um D. J. Taylor. Man war sich uneins, welche der Töchter von Lucian Freud hereingenommen werden sollte, Esther Freud oder Rose Boyt. (Esther machte das Rennen.) Er war ein großer Bewunderer von A. L. Kennedys Arbeiten und konnte genügend Stimmen mobilisieren, um Antonia Byatt zu schlagen. Es war eine leidenschaftliche, ernste Debatte, und schließlich gab es sechzehn Schriftsteller, über die sich alle vollkommen einig waren, und vier, über die sich alle gleichermaßen uneins waren. Dann wurde die Liste veröffentlicht und im engen Becken der Londoner Literaturszene fielen die Piranhas darüber her.
    Nachdem Harry Ritchie von der Sunday Times die exklusiven Rechte zur Veröffentlichung der zwanzig Autorennamen erhalten und versprochen hatte, angemessen für sie zu werben, war er der Erste, der die Liste verriss. Er rief Ritchie an. »Sagen Sie mal, haben Sie etwa alle Autoren gelesen? Ich habe das nämlich erst gemacht, als mir der Job angeboten wurde.« Ritchie gab zu, nur etwa die Hälfte der gelisteten Autoren gelesen zu haben, was ihn jedoch nicht davon abgehalten hatte, sie allesamt schlechtzumachen. Offenbar konnte man nicht einmal mehr seine fünfzehn Minuten Ruhm unbehelligt genießen. Kaum war man aus dem Ei geschlüpft, kriegte man eins übergebraten. Drei Tage später wurden die zwanzig von James Wood, dem grausamen Prokrustes der

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