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Joseph Anton

Joseph Anton

Titel: Joseph Anton Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: S Rushdie
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kalten Novemberwetters spielten sie Ball am Strand, ließen Steine übers Wasser hüpfen und machten ihre albernen Wortspiele (das Spiel ›Verworfene Buchtitel‹ zum Beispiel): Herr Schiwago, Aus einem anderen Land, Wem die Stunde läutet, Zwei Tage im Leben des Iwan Denissowitsch, Mademoiselle Bovary, Die Forsyte-Geschichte, Der reiche Gatsby, Cab Driver, Liebe in den Zeiten der Grippe, Toby-Dick, Hitch 22, Raspberry Finn ), und kein Sicherheitsbeamter war zu sehen. In diesen Tagen der Freundschaft glomm Hoffnung für die Zukunft auf. Wenn Amerika ihn einließ, seine stille Gegenwart duldete und ihm eine Chance gab, dann war das vielleicht der beste Weg, in absehbarer Zeit ein Stück Freiheit zu erlangen; vielleicht wäre es immerhin eine Teilzeitfreiheit, ein, zwei, drei Monate im Jahr, während sein Kampf um das Ende der Bedrohung weiterging. Was unterschied ihn schon von der geknechteten Masse, die frei zu atmen begehrte? Er hörte das Lied der Freiheitsstatue im Hafen, und es war, als gälte es ihm.
    *
    Seine kanadische Verlegerin Louise Dennys – Vorsitzende des P.E.N.-Club Kanada, Graham Greenes Nichte, Torontos fähigste Herausgeberin und dazu eine Hälfte der größten und bestaussehenden glücklichen Ehe, die er kannte (die andere Hälfte war der noch größere und ebenso wunderbare Ric Young) – bat ihn um einen Überraschungsauftritt bei der jährlichen Benefizveranstaltung des kanadischen P.E.N. Sie war überzeugt, daraus würden sich Treffen mit führenden Politikern ergeben und Kanada käme bereitwillig ›an Bord‹. Man hatte ein Privatflugzeug gechartert, einen ziemlich beeindruckenden Vogel mit einer von Ralph Lauren designten Innenausstattung. Es war die luxuriöseste Atlantiküberquerung seines Lebens, doch hätte er weit lieber in Heathrow Schlange gestanden und wäre geflogen wie jeder andere. Wenn das Leben aus Krisen und Notlösungen bestand, wurde die Normalität zum Luxus – heiß ersehnt und unerreichbar.
    In Toronto wurden sie von Ric Young und dem Romancier und P.E.N.-Repräsentanten Ralston Saul empfangen und zu Michael Ondaatje und Linda Spalding nach Hause gefahren. Am nächsten Tag begann die Arbeit. Eines seiner Interviews gab er dem führenden kanadischen Journalisten Peter Gzowski, der ihn in seiner Radiosendung nach seinem Sexleben fragte. »Kein Kommentar«, war seine Antwort. »Aber das heißt nicht, dass Sie keines haben, oder?«, bohrte Gzowski. Zum Mittagessen traf er den Premierminister von Ontario, Bob Rae, der entscheidend zur Organisation des Flugzeuges beigetragen hatte. Rae war ein jugendlicher, leutseliger blonder Turnschuhträger. Er sagte, obwohl seine Frau fürchtete, man würde ihn umbringen, habe er einem Podiumsauftritt bei der Veranstaltung zugestimmt. Es stellte sich heraus, dass die kanadische Polizei sämtliche Politiker vor einem Treffen mit ihm gewarnt hatte; vielleicht war das auch nur eine Ausrede. Jedenfalls war es schwer, irgendein Treffen zustande zu bringen. Am Abend aßen er und Elizabeth bei John Saul und der Fernsehjournalistin und zukünftigen kanadischen Generalgouverneurin Adrienne Clarkson zu Abend, und nach dem Essen stand Adrienne auf und sang mit schöner, klarer Stimme ›Hello, Young Lovers‹ für sie.
    Am nächsten Abend hatten sich alle hinter den Kulissen des Winter Garden Theatre versammelt, und er zog das P.E.N.-T-Shirt über, das Ric ihm mitgebracht hatte. John Irving kam und grinste. Peggy Atwood, mit Cowboyhut und Fransenjacke, rauschte herein und küsste ihn. Dann begann der ›Rushdie‹-Teil des Programms, und er empfand es als höchste literarische Ehre, als ein Autor nach dem anderen die bittere Chronik der Fatwa vortrug und dann auf der Bühne Platz nahm. John Irving schilderte charmant, wie sie sich vor langer Zeit kennengelernt hatten, und las den Anfang und das Ende von Mitternachtskinder . Dann kündigte Peggy Atwood ihn an, und er betrat die Bühne und zwölfhundert Menschen hielten den Atem an und brachen in solidarischen Jubel aus. Wie seltsam, zu einer Ikone stilisiert zu werden, dachte er. Er fühlte sich gar nicht ikonenhaft. Er fühlte sich … echt. Doch zurzeit mochte dies die beste Waffe sein, die er hatte. Der symbolische Ikonen-Salman, den seine Fürsprecher geschaffen hatten, ein überhöhter Freiheits-Salman, der mustergültig und beharrlich für höchste Werte stand, Widerstand leistete und irgendwann über die von seinen Feinden geschaffene dämonische Ausgabe seiner selbst siegen würde. Winkend

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