Joseph Anton
Recht, sie zu äußern, wie Voltaire zu verteidigen. Er hat die prophetische Geste den vier Winden der Fantasie geöffnet , schrieben die Herausgeber, und dann folgte die Kavalkade kleiner und großer Stimmen der arabischen Welt. Der syrische Lyriker Adonis: Wahrheit ist weder das Schwert / noch die Hand, die es führt. Und Mohammad Arkoun aus Algerien: Ich würde mir wünschen, Die satanischen Verse wären allen Muslimen zugänglich und ermöglichten ihnen eine modernere Sicht auf die Erkenntnis der Offenbarung. Und Rabah Belamri aus Algerien: Die Rushdie-Affäre hat der ganzen Welt deutlich gemacht, dass der Islam … unfähig ist, sich straflos einer ernsthaften Prüfung zu unterziehen. Und Fethi Ben slama aus der Türkei: In seinem Buch hat Salman Rushdie ein für alle Male den ganzen Weg beschritten, als wollte er allein sämtliche Autoren in sich vereinen, die es in der Geschichte seiner Tradition nie geben durfte. Und Zhor Ben Chamsi aus Marokko: Wir sollten Rushdie ehrlich dankbar sein, den Muslimen die Welt der Fantasie wieder zugänglich gemacht zu haben. Und die Algerierin Assia Djebar: Dieser Schreiberfürst … ist ständig nackt und einsam. Er ist der erste Mann , der das Schicksal einer muslimischen Frau erfährt (und … der erste Mann, der aus der Sicht einer muslimischen Frau schreiben kann). Und Karim Ghassim aus dem Iran: Er ist unser Nachbar. Und der Palästinenser Émile Habibi: Wenn wir Salman Rushdie nicht retten können – Gott bewahre! –, wird die Schande über die ganze Menschheit kommen. Und der Algerier Mohammed Harbi: Mit Rushdie offenbart sich uns die Resepektlosigkeit und das freiheitliche Lustprinzip in Kunst und Kultur als Quell der fruchtbaren Reflexion unserer Vergangenheit und Gegenwart. Und der Syrer Jamil Hatmal: Ich ziehe Rushdie den mörderischen Turbanen vor. Und Sonallah Ibrahim aus Ägypten: Jeder, der ein Gewissen hat, muss diesem großen Schriftsteller in der Not helfen. Und der marokkanisch-französische Autor Salim Jay: Der einzige wirklich freie Mensch ist Salman Rushdie … Er ist der Adam einer Bibliothek der Zukunft: der Bibliothek der Freiheit. Und Elias Khoury aus dem Libanon: Wir haben die Pflicht, ihm zu sagen, dass er unsere Einsamkeit verkörpert und dass seine Geschichte die unsere ist. Und der Tunesier Abdelwahab Meddeb: Rushdie, du hast geschrieben, was keiner je geschrieben hat … Statt dich im Namen des Islam zu verdammen, beglückwünsche ich dich. Und der algerischstämmige Franzose Sami Naïr: Salman Rushdie muss man lesen.
Danke, Brüder und Schwestern, flüsterte er den hundert Stimmen zu. Danke für euren Mut und euer Mitgefühl. Euch allen ein frohes neues Jahr.
VII
Eine Fuhre Mist
S EIN GRÖSSTES PROBLEM, so dachte er in seinentrübsten Momenten, war, dass er nicht tot war. Wäre er tot gewesen, hätte niemand in England sich darüber aufregen müssen, wie viel sein Schutz kostete und ob er diese andauernde Sonderbehandlung überhaupt verdiene. Er hätte nicht um sein Recht kämpfen müssen, in ein Flugzeug einzusteigen, noch darum, dass höhere Polizeibeamte ihm ein Quäntchen mehr persönliche Freiheit gewährten. Er müsste sich nicht mehr um die Sicherheit seiner Mutter, seiner Schwestern oder seines Kindes sor gen. Er würde nicht mehr mit Politikern reden müssen ( Riesen vor teil). Seine Verbannung aus Indien würde nicht mehr wehtun. Und der Stress wäre definitiv geringer.
Er sollte tot sein, doch offensichtlich hatte er das nicht begriffen. Die Schlagzeile wartete nur darauf, gedruckt zu werden. Die Nachrufe waren geschrieben. In Tragödien und selbst in Tragikomödien war es dem Helden nicht erlaubt, das Szenario umzuschreiben. Doch er bestand hartnäckig darauf, zu leben und – schlimmer noch – zu reden, für seine Sache zu streiten, zu glauben, nicht er habe unrecht getan, sondern ihm sei unrecht getan worden, seine Arbeit zu verteidigen und – ist das zu fassen? – sein Leben zurückzuverlangen, Stück chen für Stückchen, Schritt für Schritt. »Was ist blond, hat dicke Titten und lebt in Tasmanien? Salman Rushdie!«, lautete ein beliebter Witz, und hätte er einem Zeugenschutzprogramm zugestimmt und unter falschem Namen an irgendeinem unbekannten Ort sein trostloses Dasein gefristet, wäre das auch in Ordnung gewesen. Doch Joseph Anton wollte wieder Salman Rushdie werden, und das war schlicht unerhört. Dies durfte keine Erfolgsgeschichte sein, Annehmlichkeiten hatten darin nichts zu suchen. Tot ließe er sich
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