Joseph Anton
vielleicht noch als Märtyrer der Meinungsfreiheit würdigen. Lebendig war er öde und geradezu nervtötend lästig.
Wenn er allein in seinem Zimmer saß, sich einredete, dies sei lediglich die übliche schriftstellerische Einsamkeit, und zu vergessen versuchte, dass unten bewaffnete Männer saßen und Karten spielten und er sein Haus nicht ohne Erlaubnis verlassen durfte, war es leicht, in Trübsal zu versinken. Doch glücklicherweise schien ihm etwas zu eigen zu sein, das sich sogleich gegen diesen mutlos selbstmitleidigen Tran wehrte. Er bläute sich die wichtigsten Regeln ein, die er für sich selbst aufgestellt hatte: nie der Wirklichkeitsbeschreibung von Sicherheitsleuten, Politikern und Geistlichen zu trauen. Nur dem eigenen Urteilsvermögen und dem eigenen Instinkt zu glauben. Einer Wiedergeburt oder zumindest einer Erneuerung zuzustreben. Als er selbst und in seinem eigenen Leben wiedergeboren zu werden: Das war das Ziel. Und wenn er tatsächlich ein ›Toter auf Urlaub‹ war, nun ja, Tote gingen auch auf die Suche. Die alten Ägypter glaubten, der Tod sei eine Suche, eine Reise zur Wiedergeburt. Auch er würde vom Totenbuch zum ›hellen Buch des Lebens‹ zurückreisen.
Und wie ließe sich das Leben, dessen Macht über den Tod, und seine eigene Entschlossenheit, die gegen ihn verbündeten Kräfte zu besiegen, besser bekräftigen als mit der Zeugung eines neuen Lebens? Plötzlich war er bereit. Er sagte Elizabeth, er sei einverstanden; sie sollten versuchen, ein Kind zu bekommen. Sämtliche Probleme blieben bestehen, die Sicherheitsfragen, die chromosomale Translokation, aber das war ihm egal. Das neugeborene Leben würde seine eigenen Regeln aufstellen und das einfordern, was er oder sie brauchte. Ja! Er wollte ein zweites Kind. Es wäre sowieso nicht fair, Elizabeth davon abzuhalten, Mutter zu werden. Sie waren seit dreieinhalb Jahren zusammen, und sie hatte ihn geliebt und es mit ihm ausgehalten, und das von ganzem Herzen. Doch jetzt war sie nicht mehr die Einzige, die ein Kind wollte. Nachdem er Ja, lass es uns tun , gesagt hatte, strahlte sie ihn immerfort an und konnte den ganzen Abend nicht aufhören, ihn zu umarmen und zu küssen. Zur Feier des Tages tranken sie zum Abendessen eine Flasche Tignanello, als Erinnerung an ihr erstes ›Date‹. Er zog sie immer wieder damit auf, dass sie sich an dem Abend in Liz Calders Wohnung nach dem Abendessen auf ihn gestürzt habe. »Ganz im Gegenteil«, meinte sie, » du hast dich auf mich gestürzt.« Und nun, dreieinhalb merkwürdige Jahre später, saßen sie nach einem guten Abendessen in ihrem eigenen Heim vor einer fast leeren Flasche köstlichen toskanischen Weines. »Ich finde, du könntest dich jetzt auch wieder auf mich stürzen«, sagte er.
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Das Jahr 1994 begann mit einer Schlappe. Das New York Times Syndicate zog das Kolumnen-Angebot zurück. Das französische Büro hatte sich beschwert, Mitarbeiter und Redaktionen würden dadurch gefährdet. Zunächst war unklar, ob die Zeitungseigentümer überhaupt von der Entscheidung wussten und ihr zugestimmt hatten. Wenige Tage später stellte sich heraus, dass die Sulzbergers im Bilde waren und das Angebot definitiv zurückgezogen war. Die New Yorker Syndikatsvorsitzende Gloria B. Anderson bedauerte das, konnte aber nichts dagegen unternehmen. Sie sagte Andrew, ursprünglich habe sie das Angebot nur aus kommerziellen Zwecken gemacht, doch dann habe sie angefangen, Rushdie zu lesen, und sei jetzt ein Fan. Das war nett, aber nutzlos. Es sollten über vier Jahre vergehen, ehe Gloria erneut anrief.
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Malachite war der coolste Posten. Von den anderen Mitgliedern des ›A‹-Kommandos wurde es der ›Königsjob‹ genannt, und obwohl die Malachite-Veteranen Bob Major und Stanley Doll bescheiden abwinkten, traf das vollkommen zu. In den Augen der Kollegen machte das Malachite-Team den gefährlichsten und wichtigsten Job. Die anderen schützten ›nur‹ Politiker. Malachite verteidigte eine Überzeugung. Das war den Beamten vollkommen klar. Dem Rest des Landes leider weniger. In London wollten zwei Tory- MP s im Unterhaus eine Fragestunde zu den Kosten der Schutzmaßnahmen durchführen. Ganz offensichtlich waren die meisten konservativen Abgeordneten überzeugt, der Schutz sei rausgeschmissenes Geld und müsse enden. Wie gern hätte er ihnen gesagt, dass er es genauso sah. Er war der Erste, der wieder zu einem normalen Leben zurückkehren wollte. Doch der neue Verantwortliche für die Operation Malachite,
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