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Joseph Anton

Joseph Anton

Titel: Joseph Anton Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: S Rushdie
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solche Begegnungen zu nichts führten, fuhr er hin. Sein stiller, freundlicher, aufrechter Verleger Johannes Riis begleitete ihn, und William Nygaard reiste aus Oslo an. Es war ihnen erlaubt , durch die Straßen Kopenhagens zu spazieren und abends sogar den Tivoli zu besuchen, wo sie für ein paar glück liche, sorglose Minuten Autoscooter fuhren und wie kleine Jungs johlend ineinanderrasten. Während er zusah, wie William und Johannes wie wild über die Scooterbahn kurvten, dachte er: In diesen Jahren ist mir eine Lehre über das Schlimmste, aber auch über das Beste der menschlichen Natur zuteil geworden, eine Lehre in Mut, Geradlinigkeit, Selbstlosigkeit, Entschlossenheit und Ehre, und genau das will ich am Ende in Erinnerung behalten: dass ich im Zentrum einer Gruppe von Menschen stand, die sich so aufrecht und nobel verhalten haben, wie es der Mensch vermag, und auch jenseits dieser Gruppe von Menschen umgeben war, die ich nicht kannte und nie kennenlernte und die ebenso wie meine Autoscooterfreunde entschlossen waren, die Finsternis nicht siegen zu lassen.
    Plötzlich kam Leben in die ›französische Initiative‹. Jill Craigie rief ganz aufgeregt an und sagte, auf sämtlichen Radiosendern hieß es, ›die Iraner machten einen Rückzieher‹. Noch konnte niemand ihm das bestätigen, doch Jills Aufregung war ansteckend. Am nächsten Morgen war die Meldung überall in den Nachrichten. Amit Roy, der Verfasser der Titelgeschichte des Telegraph , erzählte Frances D’Souza im Vertrauen, er habe drei Stunden lang mit dem iranischen chargé d’affaires Ansari zusammengesessen, der ›unglaubliche Dinge‹ gesagt habe. Wir werden die Fatwa niemals vollstrecken, wir werden das Kopfgeld zurücknehmen. Er blieb ruhig. Es hatte schon zu viele trügerische Hoffnungen gegeben. Doch Zafar war begeistert. »Das ist wunderbar«, sagte er immer wieder und rührte seinen Vater fast zu Tränen. Inmitten des Mediengetöses saßen sie zusammen und arbeiteten an seinem Englischaufsatz über Am grünen Rand der Welt, um ihn auf seinen mittleren Abschluss vorzubereiten. Statt über Khamenei und Rafsandschani sprachen sie über Bathsheba Everdene, William Boldwood und Gabriel Oak.
    Frances hatte gehört, westliche Journalisten, darunter fünf Briten, seien auf Einladung des Regimes auf dem Weg nach Teheran. Vielleicht stand eine Bekanntmachung bevor. »Ruhig Blut«, sagte er zu Frances. »Noch singt der dicke Mullah nicht.« Doch am nächsten Morgen brachte die Times eine Riesenstory. Er blieb ruhig. »Ich kenne die Wirklichkeit«, vertraute er seinem Tagebuch an. »Wann werde ich endlich ohne Polizisten leben dürfen? Wann werden Fluglinien mich mitnehmen, Staaten mich ohne RAID -Hysterie einreisen lassen? Wann werde ich wieder ein Mensch sein dürfen? Ich fürchte, das dauert noch. Die ›Neben-Fatwa s ‹ durch anderer Leute Ängste sind schwerer zu überwinden als die der Mullahs.« Doch er fragte sich auch: Sollte ich den beschissenen Berg tatsächlich versetzt haben?
    Andy Ashcroft rief aus Hoggs Büro an und sagte, das Außenministerium sei von dem Medienrummel ›vollkommen überrascht‹ gewesen. »Vielleicht werden die Iraner gerade tatsächlich weich.« Ashcroft glaubte, mit einer Antwort sei frühestens in einem Monat zu rechnen. Der ›kritische Dialog‹ zwischen dem Iran und der Europäischen Union war für den 22. Juni angesetzt, und dann rechneten sie mit einer offiziellen Antwort auf die Demarche.
    Nach dem EU -Außenministertreffen am 30. Mai ließ die dänische Regierung verlauten, sie sei »zuversichtlich«, dass der Iran »noch vor dem Ende der französischen EU -Ratspräsidentschaft eine befrie digende Antwort auf die Demarche geben« werde. Die Franzosen machten Druck, die Iraner nahmen die Sache ernst und forderten ihrerseits Zugeständnisse, doch die EU blieb hart. »Es kommt«, schrieb er in sein Tagebuch. »Es kommt.«
    Der Abgeordnete Peter Temple-Morris sagte im BBC -Radio: »Die Fortschritte sind deshalb möglich, weil sich Rushdie eine Weile zusammengerissen und den Mund gehalten hat.« Doch Robert Fisks Interview mit dem iranischen Außenminister Velayati brachte wieder den ganzen alten Mist, die Fatwa lässt sich nicht aufheben, die Kopfgeldprämie ist ›Meinungsfreiheit ‹, den ganzen Müll. Rülpser und Fürze. Die Wirklichkeit ließ auf sich warten.
    *
    Das Erscheinen von Des Mauren letzter Seufzer ließ die Polizei die Nerven verlieren. Bei Waterstone’s in Hampstead war eine Lesung

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