Joseph Anton
Hampstead High Street wimmelte vor uniformierten Beamten, und kein einziger Demons trant war zu sehen. Nicht ein Herr mit Bart, Plakat und rechtschaffen entrüsteter Miene. Nicht einer. Wo waren die Anzüge und Handys, die ›Tausende gewalttätiger Fanatiker‹ der Hizb ut-Tahrir? Jedenfalls nicht hier. Hätten nicht Horden von Polizisten die Straße bevölkert, wäre es eine stinknormale Literaturveranstaltung gewesen.
Aber das war es natürlich nicht. Es war seine erste angekündigte öffentliche Lesung nach fast sieben Jahren. Es war der Erscheinungstag seines ersten Erwachsenenromans seit Die satanischen Verse . Die Leute von Waterstone’s sagten Caroline Michel hinterher, es sei die beste Lesung gewesen, die sie je gehört hätten, und das war schön. Der Lesende selbst empfand sie wie ein Wunder. Nach so langer Zeit war er wieder mit seinem Publikum vereint. Es lachen zu hören, die Ergriffenheit zu spüren: unbeschreiblich. Er las den Anfang des Romans, den Abschnitt über die Lenins und die Stelle über ›Mutter Indien‹. Hinterher wurden Hunderte Exemplare von glücklichen Händen in die Londoner Nacht hinausgetragen. Und nicht ein einziger Demonstrant hatte sich blicken lassen.
Er hatte seinen Rubikon überschritten. Es gab kein Zurück mehr. Die Leute von Waterstone’s Cambridge waren da gewesen und wollten ebenfalls eine Lesung organisieren, diesmal mit zweitägiger Vorankündigung. Dick Wood sagte, »die ganze Abteilung ist sehr glücklich«. Er fragte sich, ob das Commander Howley mit einschloss. Ein Tag, dann zwei, dann noch mehr. Schritt für Schritt zurück in sein wirkliches Leben. Weg von Joseph Anton, hin zu seinem wahren Namen.
Den Beamten, die für ihn gegen Scotland Yards Oberbosse ge kämpft hatten, schickte er Champagner.
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Das Rumoren um die ›französische Initiative‹ wurde jeden Tag lauter. The Independent berichtete, der Anführer der in Europa stationierten Killerzellen der iranischen Revolutionsgarde habe sich schriftlich bei Khamenei beschwert, ihm sei befohlen worden, seine Hunde zurückzupfeifen; ein Strohhalm im Wind, der bedeuten konnte, dass die Hunde tatsächlich zurückgepfiffen worden waren und dass Khamenei womöglich nichts dagegen hatte, sie in den Zwinger zu sperren. Dann berichtete Arne Ruth von Dagens Nyheter von einem ›sehr aufregenden‹ Treffen in Stockholm. Zusammen mit anderen schwedischen Journalisten habe er den iranischen Minister Larijani getroffen, und der habe unglaublicherweise gesagt, in den Artikeln sollte stehen, der Iran ›bewundere Salman Rushdies Arbeit‹, denn man wolle ›die mentale Haltung ändern‹. Noch erstaunlicher war Larijanis offizielles Statement, die Fatwadürfe nicht vollstreckt werden, denn das sei nicht im Interesse des Iran. Das war derselbe Larijani, der regelmäßig Mr Rushdies Tod gefordert hatte. Doch was Kopfgeld-Sanei anbetraf, war Larijani zu nichts zu bewegen. Die Regierung könne da gar nichts tun. Dann ein kleiner Scherz. Wieso verklagte Mr Rushdie Sanei nicht nach iranischem Recht? Oh, der ist gut, der ist wirklich verdammt gut!
Der Wind wirbelte und blies die Strohhalme in die unterschiedlichsten Richtungen. Wenn dieser Wind eine Antwort mit sich trug, so hatte er keine Ahnung, wie sie lautete.
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Elizabeth war verstimmt, weil es noch immer keine Anzeichen einer Schwangerschaft gab. Sie wollte, dass er einen »Spermatest« mache. Immer wieder kam es zu solchen Spannungen zwischen ihnen. Es machte ihnen beiden Sorgen.
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»Das Medienspektakel ist groß, das sollte man ausnutzen, um Ihnen das Leben zu erleichtern«, sagte Caroline Michel. Er wollte sein restliches Dasein nicht in der Schattenwelt der Diplomaten, Geheimdienstler, Terroristen und Gegenterroristen fristen. Würde er sein Weltbild aufgeben und dieses akzeptieren, so gäbe es nie mehr einen Ausweg. Er versuchte sich klarzuwerden, wie er denken und handeln musste, um dem, was womöglich bevorstand, richtig zu begegnen. Es würde ein ziemlicher Drahtseilakt werden. Sollte Jan Eliasson, Staatssekretär im schwedischen Außenministerium, recht damit haben, dass es ein positives Signal durch die Medien geben müsse, dann sollte er vielleicht sagen, die Lage habe sich verbessert, es sei aber noch nicht überstanden; es sei der Anfang vom Ende, aber nicht das Ende; ein Waffenstillstand, aber noch kein endgültiger Frieden. Ayatollah Meshkini hatte kürzlich gesagt, jede Fatwa könne aufgehoben werden, und vielfach sei das geschehen. Sollte er das
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