Joseph Anton
›Imperfektionsgrad‹ ein akzeptableres Niveau erreichte. Aber als er mit Elizabeth über Amerika reden wollte, hörte sie nicht hin. Sie hörte hin, als Isabel Fonseca sagte: »Amerika ist ein gefährliches Land, dort hat jeder eine Waffe.« Ihre Abneigung gegen seinen New-York-Traum wuchs. Manchmal meinte er fast zu sehen, wie ein klaffender Riss sich immer weiter zwischen ihnen auftat, als wäre die Welt aus Papier gemacht und jeder von ihnen stünde auf einer Hälfte und entfernte sich immer mehr vom anderen, und früher oder später würden ihre Geschichten trotz der Jahre voller Liebe auf zwei unterschiedlichen Seiten weitergehen, denn wenn das Leben gebot, mussten die Lebenden sich fügen. Sein höchstes Gebot war Freiheit, ihres Mutterschaft, und bestimmt lag es auch an ihrem Muttersein, dass ihr ein Leben ohne Polizeischutz in Amerika unsicher und verantwortungslos erschien, und bestimmt lag es auch daran, dass sie Engländerin war und nicht wollte, dass ihr Sohn Amerikaner wurde, und bestimmt lag es auch daran, dass sie Amerika kaum kannte, ihr Amerika war kaum größer als Bridgehampton, und sie fürchtete, in New York allein und isoliert zu bleiben. Er verstand all ihre Ängste und Befürchtungen, doch seine Bedürfnisse waren unerbittlich, und er wusste, dass er tun würde, was er tun musste.
Manchmal war Liebe nicht genug.
Es war der zweiundachtzigste Geburtstag seiner Mutter. Als er ihr am Telefon sagte, 1999 würde ein neues Buch von ihm erscheinen, sagte sie in Urdu: Is dafa koi achchhi si kitab likhna: »Schreib aber diesmal ein schönes Buch.«
IX
Seine Millenniums-Illusion
MANCHMAL WAR LIEBE NICHT GENUG . In den Jahren nach dem Tod ihres Mannes hatte Negin Rushdie herausgefunden, dass ihr erster Mann, der gut aussehende Junge, der sich in sie verliebt hatte, als sie noch die hübsche, junge Zohra Butt war, noch lebte. Ihre Ehe war nicht arrangiert, sondern eine echte ›Liebesheirat‹ gewesen, und ihre Trennung war nicht dem Ende ihrer Liebe geschuldet, sondern dem Umstand, dass er keine Kinder zeugen konnte, und Mutter zu werden war ein Muss. Die Trauer darüber, die Liebe eines Mannes für die Liebe ihrer ungeborenen Kinder hingeben zu müssen, war so tief, dass sie seinen Namen jahrelang nicht aussprach und ihren Kindern, die sie gebar und aufzog, nicht einmal seine Existenz verriet, bis sie eines Tages ihrer ältesten Tochter Sameen ihr Herz öffnete. »Er hieß Shaghil«, sagte sie errötend und weinte, als hätte sie einen Seitensprung gestanden. Ihrem Sohn gegenüber erwähnte sie ihn nie, erzählte nie, womit er seinen Lebensunterhalt verdiente oder in welcher Stadt er sich niederließ. Er war ihr Geist, das Phantom verlorener Liebe, und aus Loyalität zu ihrem Mann, dem Vater ihrer Kinder, ertrug sie den Spuk schweigend.
Nachdem Anis Rushdie gestorben war, erzählte ihr Bruder Mahmood Negin, Shaghil sei noch am Leben, habe niemals wieder gehei ratet, liebe sie noch immer und wolle sie wiedersehen. Ihre Kinder ermutigten sie, mit ihm Kontakt aufzunehmen. Nichts stand mehr zwischen den alten Liebenden. Das Gebot der Mutterschaft war nicht länger ein Hindernis, und es wäre töricht, sich durch das widersinnige Gefühl, sie betröge den toten Anis, davon abhalten zu lassen. Keiner verlangte von ihr, den Rest ihres Lebens allein und einsam zu verbringen – und sie sollte Anis um sechzehn Jahre überleben –, wenn es die Chance gab, eine alte Liebe wiederzubeleben und sich die letzten Jahre damit zu versüßen. Doch als sie ihr das alles sagten, erschien ein kleines, trotziges Lächeln auf ihrem Gesicht, und sie schüttelte den Kopf wie ein Kind. In den Jahren der Fatwa kam sie des Öfteren nach London und wohnte bei Sameen, und er besuchte sie, sooft es ging. Ihr erster Mann Shaghil war für ihn noch immer nur ein Name. Sie weigerte sich weiterhin, über ihn zu reden, zu erzählen, ob er lustig oder ernst war, was er gern gegessen hatte, ob er singen konnte, ob er groß war wie ihr kerzengerader Bruder Mahmood oder klein wie Anis. In Mitternachtskinder hatte ihr Sohn über eine Mutter geschrieben, deren erster Mann keine Kinder zeugen konnte, doch dieser traurige Dichterpolitiker ›Nadir Khan‹ entsprang allein der Fantasie seines Schöpfers. Bis auf das biologische Phänomen hatte er mit Shaghil nichts gemein. Doch nun schrieb der echte Mann ihr Briefe, und wenn sie nicht lächelte wie ein Backfisch, presste sie die Lippen zusammen, schüttelte energisch den Kopf und weigerte
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