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Joseph Anton

Joseph Anton

Titel: Joseph Anton Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: S Rushdie
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auftauchte, gleich null war. Es gab also keinen Grund, ein ganzes Schutzteam zu beschäftigen. Das konnte Frank machen. Doch sie sträubten sich, die Sicherheitsmaßnahmen zurückzustufen. Sie baten ihn, bis nach seinem Sommeraufenthalt auf Long Island alles beim Alten zu belassen, und widerwillig stimmte er zu.
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    Die erste Aufregung des Jahres 1999 ging mit der Bewilligung seines Indienvisums einher. In letzter Minute hatte ein Visabeamter im indischen Hochkommissariat versucht, seine Einreiserlaubnis auf ein reguläres Sechs-Monate-Visum zu beschränken, und Vijay Shankardass musste sich mit dem Hochkommissar Lalit Mansingh und dem gerade in London weilenden Außenminister treffen, woraufhin man sich einigte, ›das Richtige zu tun‹ und ihm das volle Fünf-Jahres-Visum zu gewähren, das Personen mit indischen Wurzeln zustand. Außerdem hätte er bei einer Indienreise Anspruch auf Schutz durch die indische Polizei.
    Sofort brach bei den indischen Muslimen der ›Ärger‹ los. In der Jama Masjid in Delhi wetterte der erbitterte alte Imam Bukhari vor dreitausend Gläubigen, die sich zum Freitagsgebet versammelt hatten, gegen die Visumsentscheidung. Um einen Besuch von Mr Rushdie zu verhindern, sei er ›bereit zu sterben‹. Zwei Tage später sagte die Tehran Times voraus, er werde in Indien sterben. »Vielleicht will es die Vorsehung, dass dieser schamlose Mensch dort stirbt, wo er geboren wurde.« Der einzige führende Politiker, der nicht der Regierungspartei BJP angehörte und die Visumsentscheidung befürwortete, war der Generalsekretär der Kommunistischen Partei Indiens. Mani Shanker Aiyar vom Nationalkongress sagte, seine Partei habe ›richtig‹ gehandelt, Die satanischen Verse und seinen Autor zu verbieten, und wenn die BJP einem Visum zugestimmt habe, müsse sie ›die Konsequenzen tragen‹. Doch seltsamerweise fügte er hinzu, wenn Mr Rushdie nach Indien komme, sei er ›ein Gast und müsse willkommen geheißen werden‹. Imam Bukhari sagte, die Muslime würden ›verfassungskonform protestieren‹, doch wenn irgendein gläubiger Muslim beschlösse, den Gottlosen zu töten, würde er die Unterstützung aller Muslime haben. Die Schriftstellerin Githa Hariharan schrieb ihm eine Reihe besserwisserischer, ideologischer E-Mails, die schlichtweg nervten. Ganz offensichtlich musste die Indienreise warten, bis sich die Wogen geglättet hatten.
    *
    Theresa aus Bonos Büro rief an. »Hallo, Salman? Haben Sie eine Kopie des Textes von Ihrem Lied, wie heißt es gleich, ›The Ground beneath her Feet‹?« Ja, die habe er. »Könnten Sie die sofort ins Studio rüberfaxen, sie nehmen nämlich gerade die Vocals auf, und Bono kann den Text nicht finden.« Ja, kein Problem. Sofort. Klar.
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    Dann gab es eine Zeitlang nur Krankheit und Ärzte und die rauschenden Schwingen des Todesengels. Elizabeths Cousine Carol Knibb und ihr Mann Brian besuchten sie für einige Tage in der Bishop’s Avenue, und am späten Abend bekam er zum ersten Mal Carols kahlen Chemo-Schädel zu Gesicht. Unwillkürlich musste er an die Szene in Roald Dahls Hexen hexen denken, in der die Hexen ihre weltliche, ›vermenschlichende‹ Hülle ablegen. Er schätzte Carol sehr und ärgerte sich über seine – gelinde gesprochen – unrühmliche Assoziation. Sie hatte Kanti Rai in Amerika aufgesucht, der sie behandelte, doch die Behandlung schlug bei ihr nicht so gut an wie bei Edward Said, und die Prognosen waren schlecht. Doch man könne noch einiges versuchen, sagte sie entschlossen optimistisch.
    Iris Murdoch starb. Kurz nach der Veröffentlichung ihres letzten Romans Jackson’s Dilemma , der von der Kritik verrissen wurde, hatte er an einem Mittagessen des Arts Council zu ihren Ehren teilgenommen. Iris war ziemlich bedrückt gewesen und hatte ihm gestanden, sie überlege, das Schreiben aufzugeben. »Aber doch nicht wegen ein paar schlechter Rezensionen«, hatte er geantwortet. »Sie sind Iris Murdoch .« – »Ja«, sagte sie traurig, »aber manchmal hören die Leute auf, deine Arbeit zu mögen, und wenn man keine Ideen mehr hat, sollte man vielleicht einfach aufhören.« Wenige Monate später wurde bei ihr Alzheimer diagnostiziert.
    Und Derek Fatchett starb. In einem Pub hatte er plötzlich einen Herzinfarkt bekommen, und das war’s. Niemand hatte sich energischer und vehementer für die Lösung des Fatwa - Problems eingesetzt. Er wurde nur vierundfünfzig Jahre alt.
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    Er litt an einem Phänomen namens Ptosis. Er konnte die Lider nicht

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