Joseph Anton
»Wir werden weiterhin auf allen Ebenen dranbleiben«, erklärte er. »Jetzt heißt es Nerven behalten.« Fatchett sagte, dass er die Einigung als »diplomatischen Erfolg für Großbritannien« bezeichnet habe, sei im Iran nicht gut angekommen. »Ihr Statement ›Es bedeutet Freiheit‹ übrigens auch nicht.«
Er wurde um etwas sehr Schwieriges gebeten: den Mund zu halten. Wenn er es schaffte, würden die wütenden Stimmen nach und nach verstummen und die Fatwa in Vergessenheit geraten.
Unterdessen gingen in Teheran tausend Hisbollah-Studenten auf die Straße und behaupteten, sie seien bereit, den Autor und seine Verleger anzugreifen, sich in die Luft zu sprengen und so weiter; das alte, traurige Lied des Terrorismus.
Er traf Robin Cook im Unterhaus. Cook sagte, ihm sei bestätigt worden, dass Khamenei und der gesamte Schlichtungsrat die New- York-Vereinbarung unterzeichnet hätten. Folglich müssten sämtli che Killer zurückgezogen werden. Was den MOIS und die libanesische Hisbollah betreffe, sei er sich sicher. Deren Mörder seien zurückgezogen worden. Was die Revolutionsgarde angehe, gebe es keinerlei Anzeichen, dass aus diesem Lager irgendwelche Angriffe zu erwarten seien. »Die iranische Regierung hat die Garantie ausgegeben, sie werde jeden, der einen Anschlag auf Sie vorhabe, davon abhalten, das Land zu verlassen. Die wissen, dass ihr Ruf auf dem Spiel steht.« Die symbolische Bedeutung von Cooks und Kharrazis ›Schulterschluss‹ war sorgfältig abgewogen und in sämtlichen muslimischen Ländern der Welt ausgestrahlt worden. »Und wenn Sie umgebracht werden, ist ihre Glaubwürdigkeit dahin. Für uns ist die Sache noch längst nicht vom Tisch. Wir werden weiteren Druck ausüben und rechnen mit weiteren Ergebnissen.«
Der britische Außenminister stellte eine schwer zu beantwortende Frage. »Wieso braucht es eine Verteidigungskampagne gegen mich?«, wollte Robert Cook wissen. »Wenn Sie möchten, stehe ich Ihnen jederzeit zur Verfügung und halte Sie regelmäßig auf dem Laufenden. Ich kämpfe auf Ihrer Seite.«
»Weil viele Leute denken, dass Sie mich verraten haben, dass eine wirkungslose Vereinbarung als bedeutend hingestellt wird, dass ich aus wirtschaftlichen und geopolitischen Gründen abserviert wurde«, entgegnete er.
»Ach! Die denken, Peter Mandelson sagt mir, was ich zu tun habe«, sagte er höhnisch. (Mandelson war der Minister für Handel und Industrie.) »Das stimmt nicht. Sie müssen mir vertrauen«, sagte er und klang wie Derek Fatchetts Echo.
Er schwieg lange, und Cook versuchte nicht, ihn zu einer Entscheidung zu drängen. War er über den Tisch gezogen worden?, fragte er sich. Es war erst wenige Tage her, dass er Michael Axworthy ins Gesicht gebrüllt hatte, man habe ihn betrogen. Doch hier waren zwei Politiker, die er schätzte und die sich stärker für ihn eingesetzt hatten als irgendjemand in den zehn Jahren zuvor – und die ihn baten, ihnen zu vertrauen, die Nerven zu behalten und vor allem eine Weile den Mund zu halten. »Wenn Sie die Khordad-Stiftung angreifen, wird die sich sehr freuen, denn dann kann die iranische Regierung nicht dagegen vorgehen, ohne dass es aussieht, als handelte sie auf Ihre Anweisung.«
Er dachte hin und her. Die Verteidigungskampagne war an den Start gegangen, um gegen die Untätigkeit der Regierungen vorzugehen. Und nun versprach ihm seine eigene Regierung, sich vehement für ihn einzusetzen. Vielleicht war dies eine neue Phase: Mit der Regierung arbeiten, statt gegen sie.
»Okay«, sagte er, »ich mach’s.«
Er traf sich mit Frances D’Souza bei Artikel 19 und bat sie, die Verteidigungskampagne aufzulösen. Carmel Bedford war bei einem Vertretertreffen verschiedener Verteidigungskomitees in Oslo, und als er sie anrief, um ihr seine Entscheidung mitzuteilen, ging sie in die Luft und gab Frances die Schuld. »Sie hat sich um einen Job im Auswär tigen Amt beworben! Ihr kommt es nur entgegen, die Sache abzu wickeln!« Frances und Carmel kamen nicht mehr gut miteinander aus. Er gelangte zu dem Schluss, die richtige Entscheidung getroffen zu haben.
Und somit endete die Rushdie-Verteidigungskampagne. »Hoffen wir, dass ich mit meinem Entschluss richtigliege. Aber wie dem auch sei, es ist mein Entschluss. Ich kann niemandem die Schuld daran geben«, schrieb er in sein Tagebuch.
IRANISCHE DORFBEWOHNER BIETEN RUSHDIE - KOPFGELD Bewohner eines iranischen Dorfes unweit des Kaspischen Meeres haben eine neue Kopfprämie gegen Salman Rushdie ausgerufen,
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