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Joseph Anton

Joseph Anton

Titel: Joseph Anton Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: S Rushdie
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Geburtsstadt dahinschwebte, aus dem Leben des Erzengels Gabriel . Wie so oft lag sein bewusstes Denken im Widerstreit mit dem Unbewussten, das seine Vernunft mit Engeln und Wundern bedrängte und darauf beharrte, dass er Möglichkeiten fand, sie in seine Sicht zu integrieren. Also ein Buch über Engel und Teufel, aber vielleicht würden sie nicht leicht auseinanderzuhalten sein. Engel konnten im Dienste ihrer vorgeblich heiligen Prinzipien Schreckliches tun, und es war auch durchaus möglich, Mitgefühl für Luzifer zu empfinden, diesen rebellischen Engel, dessen Strafe für sein Aufbegehren gegen die geisttötende, absolutistische Harfenmusik des göttlichen Willens darin bestand, von nun an, wie Daniel Defoe es einmal formulierte, »ein Vagabund zu sein, ein Wanderer, ein unsteter Gesell … ohne sichere Heimstatt … ohne einen festen Ort, einen Platz, der es ihm erlaubte, die Füße hochzulegen«. Dieser unbehauste, exilierte Satan war womöglich der himmlische Patron all derer, die im Exil lebten, aller unbehausten Menschen, all jener, die ihrer Heimat entrissen und freischwebend waren, halb dies, halb das, denen die tröstlichen Gewissheiten der verwurzelten Menschen fehlten, das bestimmende Gefühl, sicheren Boden unter den Füßen zu haben. Also Szenen aus dem Leben des Erzengels und des Erzteufels, wobei seine Sympathie eher auf Seiten des Teufels lag, denn wie schon Blake über Milton sagte, hält ein wahrer Poet es stets mit dem Teufel.
    Den Beginn des Romans sollte er erst ein Jahr später kennen. Im Juni 1985 wurde Air-India-Flug 182, die Emperor Kanishka , von Sikh-Terroristen gesprengt, die darum kämpften, aus dem indischen Punjab einen unabhängigen Sikh-Staat herauszulösen. Die Maschine fiel südlich von Irland in den Atlantischen Ozean, und zu den drei hundertneunundzwanzig Passagieren, die starben (meist Inder oder Kanadier indischen Ursprungs), gehörte auch Neelam Nath, seine Freundin aus Kindertagen, die mit ihren Sprösslingen unterwegs zu ihren Eltern G. V. Nath (›Onkel Nath‹) und Lila gewesen war, den engsten Freunden seiner Eltern. Bald nachdem er von dieser Gräueltat gehört hatte, schrieb er die Szene, in der Gibril Farishta und Saladin Chamcha, die von Bombay nach London fliegen, in einem Flugzeug sitzen, das von Sikh-Terroristen gesprengt wird. Gibril und Saladin haben mehr Glück als Neelam. Sie landen sanft auf dem Strand in Pevensey Bay, gleich vor dem Haus von Rosa Diamond.
    *
    Er arbeitete über vier Jahre an dem Buch. Wenn man den Roman hinterher auf eine ›Beleidigung‹ zu reduzieren versuchte, hätte er am liebsten geantwortet: Ich kann sehr viel schneller beleidigen . Doch fanden es seine Gegner keineswegs seltsam, dass ein ernsthafter Schriftsteller ein Zehntel seines Lebens damit verbringt, etwas derart Grobes wie eine Beleidigung zu verfassen. Grund dafür war, dass sie sich weigerten, in ihm einen ernsthaften Schriftsteller zu sehen. Um ihn und seine Arbeit angreifen zu können, war es nötig, ihn als schlechten Menschen darzustellen, als einen Abtrünnigen und Verräter, als jemanden, der skrupellos Ruhm und Reichtum suchte, als Opportunisten, dessen Werk ohne Verdienst war und der aus persönlicher Gewinnsucht den ›Islam attackierte‹. Das war mit der so oft wiederholten Phrase gemeint: Er hat es mit Absicht getan .
    Nun, natürlich hatte er es mit Absicht getan. Wie wollte man denn auch absichtslos eine Viertelmillion Worte schreiben? Das Problem war, um es mit Bill Clinton zu formulieren, was man denn mit ›es‹ meinte. Und die seltsame Wahrheit lautete, dass das neue Buch – nach zwei Büchern, die sich direkt mit der öffentlichen Geschichte des indischen Subkontinents befasst hatten – für ihn eine eher persönliche, gar innere Erkundung war, ein erster Versuch, ein Werk aus seiner eigenen Erfahrung mit Migration und Metamorphose zu schaffen: Seiner Meinung nach war es von den drei Büchern das, was am wenigsten politisch war. Und sein aus der Gründungsgeschichte des Islam gewonnenes Material zeugte, wie er fand, im Grunde doch von seiner Bewunderung für den Propheten des Islam, gar seinem Respekt. Es behandelte ihn, wie Mohammed seinen eigenen zahlreichen Äußerungen zufolge behandelt werden wollte, nämlich als einen Menschen (›den Sendboten‹), nicht als göttliche Gestalt (wie es der ›Sohn Gottes‹ für die Christen ist). Es zeigte ihn als einen Menschen seiner Zeit, geprägt von dieser Zeit, als einen Anführer, der einer Versuchung

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