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Joseph Anton

Joseph Anton

Titel: Joseph Anton Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: S Rushdie
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Robert Stone und Kurt Vonnegut brachten tatsächlich ihre Kritik gegen die amerikanische Macht vor, während die Bellows und Updikes ihren Blick nach innen auf die amerikanische Seele richteten. Letztlich war es die Bedeutungsschwere dieses Ereignisses, nicht seine Leichtigkeit, die es erinnerungswürdig machte. Ja, 1986 fanden Schriftsteller es noch normal, sich für die, wie Shelley es nannte, »unbestätigten Rechtssprecher der Welt« zu halten, also an die literarische Kunst als angemessenes Gegengewicht zur Macht zu glauben und Literatur für eine erhabene, transnationale, transkulturelle Kraft zu halten, die uns, um es mit Bellows Worten zu sagen, »das Universum ein wenig weiter öffnen« konnte. Zwanzig Jahre später würde es in einer verrohten und verängstigten Welt deutlich schwerer fallen, solch überschwängliche Ansprüche an bloße Wortdrechsler zu stellen. Es wurde schwerer, doch wohl nicht minder notwendig.
    *
    Daheim in London musste er an die Einladung nach Nicaragua denken. Vielleicht, dachte er, täte es ihm gut, von seinen kleinen literarischen Schwierigkeiten loszukommen und über Menschen mit echten Problemen zu berichten. Also flog er im Juli nach Managua. Als er mehrere Wochen später zurückkehrte, war er von dem, was er gesehen hatte, derart fasziniert, dass er an nichts anderes mehr denken, über nichts anderes mehr reden konnte, so dass er ein echter Nicaragua-Langweiler wurde. Ihm blieb nur der Ausweg, seine Gefühle niederzuschreiben. Wie im Fieberwahn setzte er sich an den Tisch und schrieb in drei Wochen einen neunzig Seiten langen Text. Das war nichts Halbes und nichts Ganzes, zu kurz für ein Buch, zu lang für einen Artikel. Überarbeitet und ergänzt, wuchs es sich schließlich zu einem kleinen Buch aus: Das Lächeln des Jaguars . An dem Tag, an dem er die Arbeit daran beendete, widmete er es Robyn Davidson (damals waren sie noch zusammen, gerade noch) und gab es ihr zu lesen. Als sie die Widmung sah, sagte sie: »Ich schätze, das heißt, den Roman willst du mir nicht widmen«, und von da an ging es mit dem Gespräch bergab.
    Deborah Rogers, seine Agentin, hatte für Das Lächeln des Jaguars nicht viel übrig, doch wurde es auf die Schnelle von Sonny Mehta bei Picador UK veröffentlicht und bald darauf von Elisabeth Sifton bei Viking USA . Auf seiner Lesereise durch die Vereinigten Staaten fragte ihn der Radiomoderator einer Talkshow in San Francisco, dem missfiel, dass sich das Buch gegen die amerikanische Wirtschaftsblockade von Nicaragua und die Unterstützung der Contra seitens der Reagan-Regierung wandte, die für den Sturz der Sandinisten kämpfte: »Mr Rushdie, sind Sie ein Handlanger der Kommunisten?« Sein überraschtes Lachen – die Sendung wurde live gesendet – ärgerte seinen Gastgeber mehr als jede Antwort, die er hätte geben können.
    Seine schönsten Augenblicke erlebte er, als er sich für die Zeitschrift Interview mit Bianca Jagger unterhielt, die selbst aus Nicaragua stammte. Sooft er einen prominenten Nicaraguaner erwähnte, ob vom linken oder rechten Spektrum, erwiderte Bianca vage und unbestimmt: »Ach der, ja, mit dem bin ich auch mal zusammen gewesen.« Dies war die Wahrheit über Nicaragua, jenes kleine Land mit seiner kleinen Elite. Die kriegführenden Kombattanten waren alle einmal miteinander zur Schule gegangen, sie gehörten derselben Elite an und kannten die jeweiligen Familien oder stammten, wie im Fall der zerstrittenen Dynastie der Chamorro, sogar aus derselben Familie; und sie alle waren irgendwann einmal miteinander gegangen. Biancas (ungeschriebene) Version der Ereignisse wäre sicher sehr viel interessanter gewesen – jedenfalls viel intimer –, als seine eigene es war.
    Sobald Das Lächeln des Jaguars veröffentlicht worden war, wandte er sich erneut seinem schwierigen Roman zu und stellte fest, dass sich die Probleme in nichts aufgelöst hatten. Für ihn war es ziem lich ungewöhnlich, dass er sich beim Schreiben nicht an die erzählerische Abfolge hielt. Er hatte die später eingefügten Passagen zuerst geschrieben – die Geschichte von den Dorfbewohnern, die ins Meer wanderten, den Bericht des Imam, der eine Revolution anführte und sie dann fraß, sowie jene später so umstrittenen Partien, die in der Stadt aus Sand spielten, in Jahilia (ein Name aus dem Arabischen, der jene Zeit des ›Unwissens‹ benennt, die der Ankunft des Islam vorausging), und lange verstand er nicht genau, wie er sie in die zentrale Handlung einbinden

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