Joseph Anton
Shultz eingeladen, bei der Eröffnungsfeier in der Public Library zu sprechen. Das sorgte für einen Aufschrei des Protests bei den südaf rikanischen Schriftstellern Nadine Gordimer, J. M. Coetzee und Si pho Sepamla, die Shultz vorwarfen, das Apartheid-Regime zu unterstützen. Andere Schriftsteller, darunter E. L. Doctorow, Grace Paley, Elizabeth Hardwick und John Irving, beschwerten sich, dass man sie missbrauche – sie als »ein Forum für die Reagan-Regierung missbraucht«, wie Doctorow sich ausdrückte.
Cynthia Ozick ließ einen Aufruf umgehen, in dem sie Bruno Kreisky attackierte, den Kongressteilnehmer und jüdischen Ex-Bundeskanzler von Österreich, da er sich mit Arafat und Gaddafi getroffen hatte. (Kreiskys Verteidiger wiesen darauf hin, dass Österreich während seiner Kanzlerschaft weit mehr geflohene russische Juden aufgenommen hatte als irgendein anderes Land.) Während einer Podiumsdiskussion stand Ozick im Publikum auf, um Kreisky anzugreifen, doch bewies Kreisky solches Geschick, dass der Zwischenfall rasch beigelegt wurde.
Viele Frauen auf dem Kongress wollten nur allzu berechtigt wissen, weshalb so wenige Frauen auf den Podien saßen.
Sontag und Gordimer, beides Podiumsteilnehmer, verweigerten sich der Revolte. Susan brachte das Argument vor, die Literatur sei kein Arbeitgeber, bei dem ›gleiche Rechte für alle‹ gälten. Dies sollte die Stimmung unter den Protestlern nicht gerade bessern, ebenso wenig seine eigene Feststellung, dass auf den diversen Podien immerhin einige wenige Frauen saßen, er selbst aber der einzige Vertreter von Südasien war, also von einem Sechstel der Menschheit.
In jenen Tagen in New York schien die Literatur so wichtig zu sein. Über die Streitgespräche der Autoren wurde ausgiebig berichtet, und sie waren offenbar sogar noch jenseits der engen Grenzen der Bücherwelt wichtig. Vor einem Publikum ziemlich verwirrter Weltautoren hielt John Updike eine quietistische Lobrede auf die kleinen blauen Briefkästen Amerikas, diesen Symbolen eines freien Ideenaustausches. Donald Barthelme war betrunken, Edward Said sehr freundlich. Auf der Party im Tempel von Dendur stand Rosario Murillo – Dichterin und Gefährtin von Daniel Ortega, dem Sandinista-Präsidenten Nicaraguas – am ägyptischen Schrein, umgeben von einer Phalanx erstaunlich attraktiver, gefährlich aussehender Sandinistas mit Sonnenbrillen. Sie lud den jungen indischen Schriftsteller (und Mitglied der britischen Solidaritätskampagne für Nicaragua) ein, sich persönlich ein Bild vom Contra -Krieg zu machen.
Während einer der Sitzungen geriet er in einen Kampf der Schwergewichtsklasse zwischen Saul Bellow und Günter Grass. Er saß neben dem deutschen Romancier, den er sehr bewunderte, und nachdem Bellow – der ebenfalls zu seinen Lieblingsschriftstellern zählte – eine Rede im vertrauten Bellow’schen Refrain darüber gehalten hatte, wie der Erfolg des amerikanischen Materialismus das spirituelle Leben in Amerika schädigte, stand Grass auf und wies darauf hin, wie viele Menschen durch die Löcher im amerikanischen Traum fielen, um sich dann zu erbieten, Bellow echte amerikanische Armut zum Beispiel in der Südbronx zu zeigen. Verärgert holte Bellow zu einer scharfen Replik aus. Als Grass auf seinen Platz zurückging, bebte er vor Wut.
»Sagen Sie was«, befahl der Autor von Die Blechtrommel dem Repräsentanten von einem Sechstel der Menschheit. »Wer? Ich?« – »Ja, sagen Sie was.«
Also trat er ans Mikrofon und fragte Bellow, warum so viele amerikanische Schriftsteller der Aufgabe aus dem Weg gingen – oder, provokanter formuliert, sie schlicht ›ignorierten‹ –, sich mit der ungeheuren Macht Amerikas in der Welt auseinanderzusetzen. Bellow war empört. »Wir haben keine Aufgaben«, verkündete er majestätisch. »Wir haben Inspirationen.«
Ja, Literatur schien 1986 noch wichtig zu sein, denn es war wichtig in jenen letzten Jahren des Kalten Krieges, osteuropäische Schriftsteller wie Danilo Kiš und Czesław Miłosz, György Konrád und Ryszard Kap u ´ sc i ´ nski zu hören, wie sie ihre Einfälle gegen das einfallslose Sowjetregime setzten. Omar Cabezas, damals Nicaraguas stellvertretender Innenminister, der gerade seine Memoiren über das Leben als Guerillero der Sandinista veröffentlicht hatte, und Mahmoud Darwish, palästinensischer Dichter, waren gekommen, um ihre von nordamerikanischen Podien nur selten vernommenen Ansichten zu vertreten, und amerikanische Schriftsteller wie
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