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Joseph Anton

Joseph Anton

Titel: Joseph Anton Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: S Rushdie
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ausgesetzt wurde, sie aber überwinden konnte. »Was für eine Idee bist du?«, fragt der Roman die neue Religion und deutet an, dass eine Idee, die sich weigert, nachzugeben oder Kompromisse einzugehen, meist vernichtet wird, bekennt aber auch, dass solche Ideen in seltenen Fällen zu jenen werden, die die Welt verändern. Sein Prophet kokettiert mit dem Kompromiss, dann verwirft er ihn; und seine unnachgiebige Idee wird stark genug, die Geschichte nach eigenem Willen zu formen.
    Als ihm zum ersten Mal vorgeworfen wurde, beleidigend zu sein, war er ehrlich verwirrt. Er dachte, er hätte sich auf künstlerische Weise mit dem Phänomen der Offenbarung auseinandergesetzt; eine Auseinandersetzung vom Standpunkt eines Ungläubigen, gewiss, dennoch aber eine ernsthafte Auseinandersetzung. Wie konnte man derlei beleidigend finden? Die nachfolgenden dünnhäutigen Jahre der wutbestimmten Identitätspolitik lehrten ihn und uns allen die Antwort auf diese Frage.
    Überhaupt, sein Prophet hieß nicht Mohammed, wohnte nicht in einer Stadt namens Mekka und schuf eine Religion, die nicht (jedenfalls nicht so ganz klar) Islam hieß. Und er tauchte nur in den Traumsequenzen eines Mannes auf, der über den Verlust seines Glaubens den Verstand zu verlieren droht. Diese vielen Mittel der Distanzierung boten nach Ansicht ihres Schöpfers genügend Hinweise auf den fiktiven Charakter seines Projekts. Für seine Gegner aber waren sie durch sichtige Versuche der Tarnung. »Er versteckt sich«, hieß es, »hinter seiner Fiktion.« Als wäre Fiktion ein Schleier oder ein Wandbehang, und ein Mann, der wie Polonius dumm genug war, sich hinter solch einem fadenscheinigen Schild verstecken zu wollen, könnte von einem Schwert durchbohrt werden.
    Während er am Roman schrieb, erhielt er ein Schreiben der amerikanischen Universität in Kairo, mit dem er eingeladen wurde, einen Vortrag vor Studenten zu halten. Es hieß, man könne ihm nicht viel zahlen, doch falls er interessiert sei, ließe sich eine mehrere Tage dauernde Schifffahrt den Nil hinunter in Begleitung eines ihrer führenden Ägyptologen organisieren. Die Welt des alten Ägyptens zu sehen gehörte zu seinen großen unerfüllten Träumen, und er antwortete rasch: »Am besten wäre es, ich könnte erst meinen Roman zu Ende schreiben und anschließend zu Ihnen kommen.« Dann war die Arbeit am Buch, an Die satanischen Verse beendet, und eine Reise nach Ägypten wurde unmöglich. Er musste sich damit abfinden, dass er die Pyramiden vielleicht niemals sehen würde, Memphis nicht und auch nicht Luxor, Theben oder Abu Simbel. Es war eine der vielen Zukunftsaussichten, die er verlor.
    *
    Im Januar 1986 ging es mit dem Schreiben nicht recht voran. Er wurde eingeladen, an einer heute schon legendären Versammlung von Schriftstellern teilzunehmen, dem achtundvierzigsten Kongress des Internationalen PEN in New York, und er war froh, dem Schreibtisch für eine Weile zu entkommen. Der Kongress war eine ziemliche Show. Norman Mailer, damals Präsident des amerikanischen PEN -Zentrums, hatte all seinen Charme und seine Überredungskünste aufgeboten, um die Mittel aufzutreiben, die nötig waren, mehr als fünfzig der weltweit bedeutsamsten Schriftsteller nach Manhattan einzuladen, damit sie dort mit nahezu hundert von Amerikas klügsten Köpfen über das erlesene Thema ›Die Vorstellungskraft des Schriftstellers und die Vorstellungskraft des Staates‹ debattieren und an so erlesenen Orten wie im Gracie Mansion, dem Haus des New Yorker Bürgermeisters, und im Tempel von Dendur im Metropolitan Museum of Arts dinieren konnten.
    Als einer der jüngeren Teilnehmer war er nahezu überwältigt von Ehrfurcht. Brodsky, Grass, Oz, Soyinka, Vargas Llosa, Bellow, Carver, Doctorow, Morrison, Said, Styron, Updike, Vonnegut, Barthelme und Mailer selbst waren nur einige der bedeutenden Autoren, die aus ihren Werken lasen und in den Hotels Essex House und St. Moritz am Central Park South miteinander diskutierten. Eines Nachmittags wurde er vom Fotografen Tom Victor gebeten, sich für eine Aufnahme in eine der von Pferden gezogenen Parkkutschen zu setzen, und als er einstieg, saßen da bereits Susan Sontag und Czesław Miłosz, um ihm Gesellschaft zu leisten. Eigentlich gehörte er nicht gerade zu der wortkargen Sorte Mensch, doch während dieser Kutschfahrt bekam er kaum den Mund auf.
    Die Atmosphäre war von Anfang an wie elektrisch geladen. Sehr zum Bedauern der PEN -Mitglieder hatte Mailer Außenminister George

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