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Joseph Anton

Joseph Anton

Titel: Joseph Anton Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: S Rushdie
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Margaret Thatchers. Der tatsächliche Bezirk Southall in Westlondon und die Brick Lane östlich davon, eine Gegend, in der asiatische Einwanderer lebten, verschmolz mit Brixton, südlich der Themse, zum fiktiven, mitten in London gelegenen Bezirk Brickhall, in dem eine muslimische Familie orthodoxer Eltern und rebellischer Teenager-Töchter das Shaandaar Café führten, dessen kaum verhüllter, in Urdu übersetzter Name auf das wahre Brillant Café in Southall hindeutete. In diesem Bezirk brodelte der Hass zwischen den Rassen, und bald würden vielleicht auch die Straßen brennen.
    Hier, nacherschaffen, lebte Clarissa, die im Stile Samuel Richardsons den Namen ›Pamela Lovelace‹ erhielt, und hier lebte auch, von der Wüstenwanderin zur Bergsteigerin, von der Christin zur Jü din verwandelt, ein Avatar von Robyn namens Alleluia Cohen oder schlicht Cone. Und aus irgendeinem Grunde lebte hier auch Clarissas Großmutter May Jewell, eine prachtvolle alte Dame, die in Sussex in Pevensey Bay am Strand wohnte. 1066 wären die normannischen Schiffe, erzählte sie jedem, der ihr zuhörte, noch durch ihr Wohnzimmer gesegelt: Heute verliefe die Küste eine Meile weiter draußen als noch vor neun Jahrhunderten. Oma May hatte viele Geschichten zu erzählen – und erzählte sie viele Male, stets mit denselben rituellen Wendungen – über ihre anglo-argentinische Vergangenheit auf einer estancia namens Las Petacas, wo sie mit einem blassen, Briefmarken sammelnden Ehemann namens Charles ›Don Carlos‹ Jewell gelebt hatte, mit mehreren hundert Gauchos, sehr heißblütig und stolz , und einer Herde bester argentinischer Kühe.
    Als die Briten ein Viertel der Welt regierten, zogen sie von ihrer kleinen, kalten Insel im Norden fort, um auf den weiten Steppen und unter dem offenen Himmel von Indien und Afrika faszinierendere, extrovertiertere, opernhaftere Persönlichkeiten – größere Charaktere – zu werden, als dafür in ihrer Heimat Raum gewesen wäre. Dann aber endete die Zeit des Empires, und sie mussten wieder zu ihren kleineren, kälteren, graueren Inselpersönlichkeiten zurückschrumpfen. Oma May im Türmchenhaus, die von den unendlichen Pampas und von preisgekrönten Bullen träumte, die wie Einhörner zu ihr kamen, um den Kopf in ihren Schoß zu legen, schien eine solche Gestalt zu sein, eher noch interessanter und weniger klischeehaft, weil sich ihre Geschichte nicht auf dem Territorium des britischen Empires, sondern in Argentinien abgespielt hatte. Er schrieb sich für sie einen Namen ins Notizbuch: ›Rosa Diamond‹.
    Er flog jetzt über Indien und machte sich immer noch Notizen. Er erinnerte sich, während einer Fernsehsendung einen indischen Politiker über die britische Premierministerin reden gehört zu haben, der ihren Namen nicht richtig aussprechen konnte. »Mrs Torture«, sagte er immer wieder, »Mrs Margaret Torture.« Das fand er unsagbar lustig, obwohl – oder vielleicht gerade weil – Margaret Thatcher offenkundig keine Folterin war. Sollte dies ein Buch über Mrs Ts London werden, dann fand sich darin vielleicht auch Platz für ein bisschen Humor und für diese Variante ihres Namens.
    »Die Migration«, schrieb er, »stellt für den Aus- und Einwanderer alles in Frage, die Identität ebenso wie die Persönlichkeit, die Kultur und den Glauben. Wird dies also ein Roman über die Migration, muss er sich um ebendieses Infragestellen drehen. Er muss die Krise vorführen, die er beschreibt.«
    Er schrieb: »Wie kommt etwas Neues in die Welt?«
    Und er schrieb: »Die satanischen Verse.«
    *
    Vielleicht hatte er es eher mit drei Büchern zu tun. Oder mit sieben. Oder mit gar keinem. Die Geschichte von ›Rosa Diamond‹ hatte er bereits zu schreiben versucht, als Drehbuch für Walter Donohue beim frisch gebackenen Channel 4, doch sobald er sie geschrieben und eine erste Fassung abgeschickt hatte, fragte er Walter, ob er sie zurückhaben könnte, da ihm sein Instinkt verriet, dass er die Geschichte für den Roman brauchte, auch wenn er keine Ahnung hatte, wie sie sich da einfügen würde. Vielleicht sollte er aus dem ›Durchzug durch das Arabische Meer‹ doch lieber ein eigenes Buch machen, und vielleicht wirkten die satanischen Verse auch am besten, wenn sie für sich blieben.
    Versuchte er, all seine Eier in ein einziges Nest zu häufen? Später behauptete er gern, dass ihm die Antwort auf diese Fragen einfiel, als er über Bombay flog. Das sind Szenen , kam es ihm in den Sinn, als er über seine

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