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Joseph Anton

Joseph Anton

Titel: Joseph Anton Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: S Rushdie
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zu bieten, was sie haben möchte.«
    Die Kluft zwischen dem privaten ›Salman‹, der er zu sein glaubte, und dem öffentlichen ›Rushdie‹, den er kaum wiedererkannte, wuchs von Tag zu Tag. Einer von den beiden, ob Salman oder Rushdie wusste er selbst nicht zu sagen, fand die Zahl der Labour-Parlamentarier erschreckend, die sich auf die Seite der Muslime schlugen – schließlich war er sein Leben lang Anhänger der Labour-Partei gewesen –, und betrübt stellte er fest, dass »die wahren Konservativen Großbritanniens heutzutage in der Labour-Partei sind, während die Radikalen Blau, die Farbe der Konservativen, tragen«.
    *
    Es fiel schwer, die Effizienz seiner Gegner nicht zu bewundern. Faxe und Telexe flogen von Land zu Land, Flugblätter mit Aufzählpunkten zirkulierten in Moscheen und anderen religiösen Instituten, so dass schon bald alle von der gleichen Partitur absangen. Moderne Infor mationstechnologie wurde im Dienste rückwärts gewandter Ideen eingesetzt: Mittelalterliches richtete die Moderne gegen sich selbst im Dienste einer Weltsicht, die alles Moderne verabscheute – die ratio nale, vernunftbetonte, innovative, weltliche, skeptische, herausfor dernde Moderne, und ihr Gegenteil war der mystische, statische, intolerante, verdummende Glaube. Von den eigenen Ideologen wurde die wachsende Flut des islamischen Terrorismus eine ›Revolte gegen die Geschichte‹ genannt. Geschichte selbst, also der Fortschritt der Völker durch die Zeit, war der eigentliche Feind, nicht bloß irgendwelche Ungläubige oder Gotteslästerer. Doch das Neue, dieses vorgeblich verachtete Etwas der Geschichte, ließ sich einsetzen, um die Macht des Alten wiederzubeleben.
    *
    Nicht nur Gegner, auch Verbündete meldeten sich. Er aß mit Aziz al-Azmeh zu Mittag, dem syrischen Professor für Islamstudien an der Universität Exeter, der in den kommenden Jahren zu den schärfsten Kritikern der Attacken auf Die satanischen Verse gehören sollte und einige der gelehrtesten Verteidigungen des Romans aus islamischer Sicht schrieb. Er traf Gita Sahgal, Schriftstellerin und Aktivistin für Frauen- und Menschenrechte, deren Mutter die bemerkenswerte indische Autorin Nayantara Sahgal und deren Großonkel Jawaharlal Nehru selbst war. Gita gehörte zu den Mitbegründern der Gruppe Frauen gegen Fundamentalismus, die sich mit außerordentlichem Mut den muslimischen Demonstranten entgegenstellte. Am 28. Januar 1989 marschierten gut achttausend Muslime durch die Straßen Londons, um sich im Hyde Park zu versammeln. Gita und ihre Kolleginnen organisierten eine Gegendemonstration, wurden angegriffen und sogar zu Boden geschlagen. Das sollte ihrer Entschlossenheit keinen Abbruch tun.
    Am 18. Januar starb Bruce Chatwin in Nizza im Haus seiner Freundin Shirley Conran.
    Der Roman sollte demnächst in den Vereinigten Staaten erscheinen – die ersten fertigen, wunderschönen Exemplare der amerikanischen Ausgabe trafen bei ihm zu Hause ein –, und amerikanische Muslime drohten mit ›Mord und Chaos‹. Gerüchte besagten, man hätte fünfzigtausend Dollar Kopfgeld auf ihn ausgesetzt. In der Presse tobte der Streit, doch vorläufig fielen die meisten Redaktionsbeiträge zu seinen Gunsten aus. »Ich kämpfe den Kampf meines Lebens«, schrieb er ins Tagebuch, »doch spüre ich seit letzter Woche, dass ich gewinne. Nur die Angst vor Gewalt bleibt.« Als er diesen Eintrag später wieder las, staunte er über seinen Optimismus. Selbst als der Hammerschlag aus dem Iran schon kurz bevorstand, konnte er die Zukunft nicht vorhersehen. Als Prophet hätte er kaum getaugt.
    Er begann, zwei Leben zu führen: das öffentliche Leben der Kontroverse und das, was ihm von seinem alten Privatleben noch geblieben war. Am 23. Januar 1989 feierte er mit Marianne den ersten Hochzeitstag, und sie gingen in die Oper, um sich Madame Butterfly anzusehen. Marianne hatte zwei hervorragende Plätze in der ersten Reihe, erster Rang, gebucht, und als das Licht ausging, kam Prinzessin Diana und setzte sich neben ihn. Er fragte sich, was sie wohl von dieser Oper hielt, der Geschichte einer Frau, der ein Mann die Liebe versprach, um sie dann zu verlassen und schließlich, nachdem er eine andere Frau geheiratet hatte, zurückzukehren und ihr das Herz zu brechen.
    Bei der Whitbread-Preisverleihung für das Buch des Jahres am folgenden Tag konkurrierte sein Buch in der Kategorie Bester Roman gegen die Gewinner in den vier anderen Kategorien, darunter A. N. Wilsons Tolstoi-Biografie und

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