Joseph Anton
folgte der zweite. Eine Stimme sagte: »Wir kriegen dich heute Abend, Salman Rushdie, in deinem Haus in der Burma Road 60.« So lautete seine Adresse. Sie rief die Polizei an, und die Nacht über schliefen sie bei Clarissa.
Nichts passierte. Die Spannung stieg um einen Grad weiter an.
Am 28. Dezember gab es Bombenalarm in den Büroräumen von Viking. Andrew Wylie rief an, um ihm Bescheid zu geben. »Die Angst wird spürbar«, sagte Andrew.
Dann kam das Jahr 1989, und die Welt veränderte sich.
*
An dem Tag, an dem man sein Buch verbrannte, fuhr er mit seiner amerikanischen Frau nach Stonehenge. Er hatte von dem gehört, was man in Bradford inszenieren wollte, und irgendwas in ihm lehnte sich heftig dagegen auf. Er hatte keine Lust, den Tag über abzuwarten, was passierte, um dann die unvermeidlichen Artikel gegen die Beleidigungen zu schreiben. Als hätte er nichts Besseres zu tun, als willfähriger Diener der jeweiligen hässlichen Geschehnisse zu sein. Unter bleiernem Himmel machten sie sich auf den Weg zu den uralten Steinen. Geoffrey von Monmouth hatte gesagt, Merlin habe Stonehenge erbaut. Geoffrey war gewiss keine zuverlässige Quelle, doch gefiel ihm sein Stonehenge besser als das der Archäologen, die den Steinkreis für eine uralte Begräbnisstätte hielten oder einen Altar des Druidenkults. Er fuhr schnell und war nicht gerade in Stimmung für Druiden. Religiöse Kulte, ob groß oder klein, gehörten in den Abfalleimer der Geschichte, und er wünschte sich, jemand würde sie endlich da hineinstopfen, zusammen mit dem übrigen Kinderkram der Menschheit, der Erde als Scheibe zum Beispiel oder dem Mond aus Käse.
Marianne war bester Laune. Es gab Tage, an denen ihr Gesicht auf fast beängstigende Weise von innen heraus zu leuchten schien, als wäre die sonst übliche Intensität noch höher aufgedreht. Sie stammte aus Lancaster in Pennsylvania, doch erinnerte nichts an die Glaubensbrüder der Amischen. Ihr Stil war so persönlich wie extravagant. Man hatte sie beide zu einer königlichen Gartenparty in den Buckingham Palace eingeladen, und statt eines Kleids trug sie ei nen schimmernden Slip, dazu ein fesches Bolero-Jäckchen und ei nen kleinen Pillbox-Hut. Trotz drängender Ermahnungen seitens ihrer Tochter hatte sie sich geweigert, einen BH zu tragen. Mit seiner BH -losen Frau in Unterwäsche spazierte er durch die Gartenanlage. Die in Primärfarben gekleideten Royals standen von Gästen umringt wie Rennpferde auf ihrem persönlichen Rasenfleck. Die Mengen um die Queen und das Duo Charles und Diana waren mit Abstand die größten, der Fanklub um Prinzessin Margaret fast peinlich klein. »Ich frage mich«, sagte Marianne, »was die Königin wohl in ihrer Handtasche hat.« Das war eine lustige Frage, und sie verbrachten selige Augenblicke damit, sich den Inhalt der Tasche auszumalen. Vielleicht Tränengas? Oder Tampons? Bestimmt kein Geld. Nichts mit ihrem Gesicht drauf.
War Marianne gut gelaunt, machte es Spaß, mit ihr zusammen zu sein. Wo sie stand und ging, hielt sie Notizen fest, und ihre Handschrift war so extravagant wie sie selbst. Manchmal erschreckte ihn geradezu das Tempo, mit dem sie Erfahrungen in Fiktion verwandelte. Es blieb kaum Zeit für Reflexion. Geschichten strömten nur so aus ihr heraus, die Ereignisse von gestern wurden zu den Sätzen von heute. Und wenn dieses Leuchten ihr Gesicht erhellte, konnte sie unglaublich attraktiv aussehen oder verrückt – oder beides. Sie erzählte ihm, dass alle Frauen in ihren Werken, deren Namen mit M anfingen, Versionen ihrer selbst seien. In dem Buch, das vor John Dollar herausgekommen war, Separate Checks, ein Roman, der ihm gefallen hatte, hieß die Heldin mit Nachnamen McQueen: Ellery McQueen, nach dem Krimiautor. Hinter dem realen Schriftsteller Ellery McQueen verbargen sich eigentlich zwei Autoren, Vettern mit Namen Frederic Dannay und Manfred Bennington Lee, was allerdings wiederum Decknamen waren, lauteten ihre richtigen Namen doch Daniel Nathan und Emanuel Lepofsky. Mariannes Heldin trug einen Decknamen, der ein Spiel mit den Pseudonymen zweier Schriftsteller mit geteiltem Ich war, die diesen Tarnnamen gebraucht hatten, um Namen zu verheimlichen, die selbst wiederum nur Pseudonyme für andere Namen waren. In Separate Checks war Ellery McQueen Insasse einer privaten Psychiatrieanstalt. Ihr Verstand war gestört.
In The Tyrls in Bradford versammelte sich vor dem Polizeirevier eine Menschenmenge auf einem Platz, über dem ein im
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