Joseph Anton
Almansor verbrannte Buch der Koran und die Buchverbrenner Mitglieder der Inquisition gewesen waren.
Heine war Jude und konvertierte zum Protestantismus, ein Apostat, ein Abtrünniger, könnte man behaupten, wäre einem an solchen Vokabeln gelegen. Ihm wurde auch Apostasie vorgeworfen, unter anderem, Blasphemie, Kränkung und Beleidigung. Die Juden haben ihn dazu genötigt , hieß es. Sein Verleger war Jude und hat ihn dafür be zahlt. Seine Frau, eine Jüdin, hat ihn angestiftet . Auf trostlose Weise fand er das komisch. Marianne war keine Jüdin; und so, wie es um sie beide stand, hätte sie ihn meist nicht einmal überreden können, auf Grün zu warten, ehe er eine viel befahrene Straße überquerte. An jenem Tag aber, am 14. Januar 1989, konnten sie ihre Probleme für eine Weile vergessen und nahmen einander an die Hand.
Ein unbekannter Bewunderer hatte ihm ein T-Shirt geschenkt mit der Aufschrift: GOTTESLÄSTERUNG IST EIN VERBRECHEN OHNE OPFER . Vorübergehend aber sah es aus, als wäre der Sieg der Aufklärung in Frage gestellt. Eine alte Sprache war wiederbelebt worden, längst besiegte Ideen marschierten wieder. In Yorkshire hatte man sein Buch verbrannt.
Und jetzt war er auch wütend.
*
»Wie anfällig die Zivilisation ist«, schrieb er im Observer , »wie schnell, wie fröhlich doch ein Buch brennt! In meinem Roman versuchen die Figuren, Mensch zu werden, indem sie sich den großen Gegebenheiten stellen, der Liebe, dem Tod und (ob nun mit oder ohne Gott) dem Wirken der Seele. Außerhalb meines Romans aber beginnen die Mächte der Unmenschlichkeit zu marschieren. ›Die Kriegsfronten werden heute in Indien gezogen‹, sagt eine meiner Figuren. ›Das Weltliche gegen die Religion, Licht gegen Dunkelheit. Ent scheide dich bald, auf welcher Seite du stehen willst.‹ Und nun, da die Schlacht auch England erfasst hat, kann ich nur hoffen, dass wir nicht allein deshalb verlieren, weil wir gar nicht erst zum Kampf antreten. Höchste Zeit, uns zu entscheiden.«
Nicht alle waren seiner Meinung. Es wurden viele Ausflüchte vorgebracht, besonders von Parlamentsabgeordneten mit zahlreichen muslimischen Wählern. Max Madden, Abgeordneter für Bradford, gesellte sich mit Jack Straw, beides Parlamentarier, die sich oft für die Redefreiheit eingesetzt hatten, ein wenig verlegen auf die muslimische Seite des Zauns zu solch streitsüchtigen Labour-Fürsten wie Roy Hattersley und Brian Sedgemore. Im September hatte Straw zur Verteidigung von Jim Allens Theaterstück Perdition noch geschrieben: »Die Grundgedanken … sind mir zuwider …, aber Demokratie heißt, auch jenen freie Meinungsäußerung zuzugestehen, mit denen man ganz und gar uneins ist.« Diesmal aber beschloss Straw, jene zu unterstützen, die eine Ausweitung der Blasphemiegesetze auf alle Religionen forderten (das britische Gesetz zum Schutz vor gotteslästerlicher Beleidigung galt damals nur für Anhänger der Kirche von England), und Inhalte zu verbieten, die »religiöse Gefühle verletzen« könnten. (2008 wurden die Blasphemiegesetze vollständig abgeschafft – trotz Mr Straw.) Max Madden war ›betrübt‹, habe Rushdie doch »die Proteste gegen Die satanischen Verse durch seine Weigerung verschärft, den Muslimen ein Recht auf Antwort einzuräumen. (Ich schlug vor, [in den Roman] eine leere Seite einzufügen, auf der die Muslime erklären konnten, warum sie das Buch beleidigend fanden.)« Bob Cryer, ebenfalls Parlamentsabgeordneter für Bradford, hat sich den muslimischen Demonstranten energisch entgegengestellt und seinen Sitz dennoch nicht verloren.
Max Madden warf ihm vor, ›kleinmütig‹ einer Konfrontation mit seinen Gegnern auszuweichen. Er fuhr mit dem Zug nach Birmingham, um an der BBC -Mittagssendung Daytime Live teilzunehmen und mit dem Muslimführer Hesham el-Essawy zu debattieren, einem schleimigen Harley-Street-Zahnarzt, der sich moderat nannte und versuchen wollte, die heikle Lage zu entschärfen. Während sie auf Sendung waren, versammelten sich vor den Büros der BBC bedrohlich lärmende Demonstranten, die durch das Panzerglas hinter ihm deutlich zu sehen waren. Die heikle Lage wurde nicht entschärft, die Gefühle nicht beschwichtigt.
Am Tag nach der Bücherverbrennung in Bradford nahm W. H. Smith, Englands größte Buchhandelskette, sein Buch in all ihren 430 Filialen aus den Regalen. Geschäftsführer Malcom Field erklärte: »Wir möchten keinesfalls, dass man uns Zensur nachsagt, sind wir doch bestrebt, unserer Kundschaft
Weitere Kostenlose Bücher