Joseph Anton
schwunden‹ –, und er war über Nacht zu einem der bekanntesten Menschen des Landes geworden. Die ihm zugewandten Gesichter wirkten freundlich – ein Mann winkte ihm zu, ein anderer reckte den Daumen hoch –, doch fand er es beängstigend, gerade in dem Moment, in dem er sich möglichst unauffällig verhalten sollte, derart sichtbar zu sein. Als er über die Dorfstraßen von Broadway ging, war die Wirkung ähnlich: Eine Frau kam auf ihn zu und wünschte ihm viel Glück. Im Hotel konnte es selbst das gut ausgebildete Personal nicht lassen, ihn mit offenem Mund anzustarren. Er war die reinste Zirkusnummer geworden, und sie beide, Marianne und er, waren froh, als sie sich endlich allein in ihrem schönen altmodischen Zim mer aufhielten. Man zeigte ihm den ›Panikknopf‹, den er drücken sollte, falls ihm irgendwas Sorgen machte. Er probierte den Knopf aus. Er funktionierte nicht.
Es gab ein kleines Zimmer, in dem sie ihre Mahlzeiten einnahmen. Das Hotel hatte Stan und Benny auf eine potentielle Gefahr aufmerksam gemacht. Einer der Gäste war Journalist beim Daily Mirror und hielt sich in einem angrenzenden Zimmer mit einer Frau auf, die nicht seine Gattin war. Wie sich herausstellte, war dies kein Problem. Die fragliche Dame verfügte ganz offensichtlich über große Verführungskräfte, denn der Mann vom Mirror verließ mehrere Tage lang nicht sein Zimmer, und während die Boulevardpresse Scharen von Mitarbeitern ausschickte, die herausfinden sollten, wo sich der Autor von Die satanischen Verse versteckte, verpasste der Journalist im Nachbarzimmer seinen großen Coup.
*
Am zweiten Tag im Lygon Arms kamen Stan und Benny mit einem Blatt Papier zu ihm. Der iranische Präsident Ali Khamenei hatte angedeutet, dass ›der arme Kerl verschont‹ werden könnte, wenn er sich entschuldigte. »Man findet«, sagte Stan, »Sie sollten sich entschuldigen, damit sich die Lage ein wenig beruhigt.« – »Genau der Ansicht ist man«, pflichtete Benny ihm bei. »Das richtige Statement von Ihnen könnte hier von Hilfe sein.« Wer findet das?, wollte er wissen; wessen Ansicht war gemeint? »Die allgemeine Ansicht«, erwiderte Stan unbestimmt, »von denen da oben.« War es Ansicht der Polizei oder der Regierung? »Man hat sich die Freiheit genommen, einen Text vorzubereiten«, sagte Stan, »aber nehmen Sie sich ruhig Zeit, ihn durchzulesen.« »Und nehmen Sie sich auch ruhig Zeit für Änderungen, falls Ihnen der Stil nicht gefällt«, sagte Ben. »Schließlich sind Sie hier der Schriftsteller.« – »Allerdings sollte ich der Fairness halber anmerken«, ergänzte Stan, »dass der Text bereits gebilligt wurde.«
Der Text, der ihm überreicht wurde, war inakzeptabel: feige und erniedrigend. Ihn zu unterschreiben hieße, sich geschlagen zu geben. Konnte das wirklich der Deal sein, den man ihm anbot: dass er die Unterstützung der Regierung und polizeilichen Personenschutz nur erhielt, wenn er seine Prinzipien und die Verteidigung seines Buches aufgab, auf die Knie fiel und zu Kreuze kroch? Stan und Benny sahen ziemlich betreten drein. »Wie gesagt«, meinte Benny, »es steht Ihnen frei, Änderungen vorzunehmen.« – »Und dann warten wir die Reaktionen ab«, sagte Stan. Was aber wäre, wenn er sich entschlösse, zu diesem Zeitpunkt überhaupt kein Statement abzugeben? »Man hält es für eine gute Idee«, sagte Stan. »Ihretwegen werden Verhandlungen auf höchster Ebene geführt. Und dann sind da noch die Geiseln im Libanon zu berücksichtigen sowie Mr Roger Cooper, der in Teheran im Gefängnis sitzt. Die sind schlimmer dran als Sie. Man bittet Sie nur, das zu tun, was in Ihrer Macht steht.« (In den achtziger Jahren nutzte die libanesische, zur Gänze von Teheran finanzierte Hisbollah eine Reihe verschiedener Pseudonyme, um neunundsechzig Menschen aus einundzwanzig Ländern in ihre Gewalt zu bringen, darunter auch mehrere Amerikaner und Briten. Außerdem hielt man den britischen Geschäftsmann Cooper im Iran gefangen.)
Es war eine unmögliche Aufgabe: einen Text zu schreiben, der als dargebotener Olivenzweig verstanden werden konnte, ohne dabei auf das zu verzichten, was ihm am Herzen lag. Er verabscheute das schließlich aufgesetzte Statement. »Als der Verfasser von Die satanischen Verse erkenne ich an, dass Muslime in vielen Teilen der Welt ernstlich bestürzt über die Veröffentlichung meines Romans sind. Und ich bedaure zutiefst jeden Kummer, den diese Publikation bei allen überzeugten Anhängern des Islam
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