Joseph Anton
hervorgerufen hat. Da wir heute in einer Welt mit vielen Glaubensrichtungen leben, mag uns diese Erfahrung daran erinnern, dass wir uns alle der Empfindlichkeiten anderer Menschen bewusst bleiben sollten.« Seine eigene, innere, sich selbst rechtfertigende Stimme sagte ihm, dass er sich für den Kummer entschuldigte – schließlich hatte er nie Kummer verursachen wollen –, nicht aber für das Buch. Und ja, wir sollten uns der Empfindlichkeiten anderer Menschen bewusst bleiben, was aber nicht hieß, dass er sich ihnen unterwarf. So lautete sein kämpferischer, wenn auch unausgesprochener Subtext. Allerdings wusste er, sollte der Text die erhoffte Wirkung haben, würde er als schnörkellose Entschuldigung gelesen werden müssen. Allein der Gedanke machte ihn krank.
Es blieb eine nutzlose Geste. Sie wurde zurückgewiesen, dann halbherzig angenommen, daraufhin erneut zurückgewiesen, sowohl von den britischen Muslimen als auch von der iranischen Führerschaft. Es wäre die stärkere Position gewesen, ein Verhandeln mit der Intoleranz grundsätzlich zu verweigern, aber er hatte die schwächere Position gewählt und wurde folglich auch wie ein Schwächling behandelt. Der Observer verteidigte ihn – »weder Großbritannien noch der Autor hat sich für irgendwas zu entschuldigen« –, aber sein Gefühl, etwas falsch gemacht, einen ernstlichen Fehler begangen zu haben, sollte sich bald bestätigen. »Selbst wenn Salman Rushdie der frömmste Mensch aller Zeiten würde, hat jeder Muslim die Pflicht, alles in seiner Macht Stehende, sein Leben sowie seinen Reichtum, dafür einzusetzen, dass dieser Mann in die Hölle geschickt wird«, sagte der sterbende Imam. Es schien, als wäre er ganz unten angekommen. War er aber nicht. Einige Monate später wusste er, es ging noch tiefer hinab.
Seine Bodyguards sagten, er solle nicht länger als zwei Nächte im Lygon Arms bleiben. Er könne von Glück reden, dass ihn die Medien noch nicht aufgespürt hatten, aber in ein, zwei Tagen wäre es gewiss so weit. Und dann bekam er eine weitere unangenehme Wahrheit aufgetischt: Es lag an ihm, einen Ort zu finden, an dem er bleiben konnte. Der polizeiliche Rat, der einer Anweisung gleichkam, lautete, er könne nicht in sein Haus zurück, da es unmöglich wäre (sprich: viel zu teuer), ihn dort zu beschützen. Allerdings stelle man keine ›sicheren Häuser‹ zur Verfügung. Er sollte entsprechende Häuser auch nie zu Gesicht bekommen, falls es sie denn überhaupt gab. Die meisten Menschen, vorgebildet durch Spionageromane, gingen davon aus, dass solche Häuser existierten, und man nahm allgemein an, dass er auf staatliche Kosten in einer derartigen Festung beschützt wurde. Kritik an den Ausgaben, die für seinen Schutz nötig waren, sollte in den nächsten Wochen immer lauter werden: ein Anzeichen dafür, dass sich die öffentliche Meinung änderte. An seinem zweiten Tag im Lygon Arms wurde ihm schließlich gesagt, dass er noch vierundzwanzig Stunden habe, sich eine neue Bleibe zu suchen.
Als er seinen täglichen Anruf machte und Clarissas Nummer wählte, um mit Zafar zu sprechen, bot sie ihm eine temporäre Lösung an. Damals arbeitete sie als Literaturagentin bei A. P. Watt, deren Seniorpartnerin Hilary Rubinstein ein Landhaus im Dorf Thames in Oxfordshire besaß, das sie ihm für ein, zwei Nächte anbot. Es war das erste von den vielen großzügigen Angeboten seiner Freunde, ohne deren Entgegenkommen er obdachlos geworden wäre. Hilarys Cottage war recht klein und nicht gerade einsam gelegen, also kein idealer Ort, aber er brauchte ihn, und er war dankbar. Der reparierte Jaguar, das Biest, der Tennisspieler Stan, der stets smart angezogene Benny, Dennis das Pferd, der große Mickey C. sowie Marianne und der Unsichtbare – ihre Ankunft konnte in so einem winzigen Dorf kaum unbemerkt bleiben. Er war davon überzeugt, dass alle genau wussten, was bei den Rubinsteins vor sich ging, doch ließ sich kein Neugieriger blicken. Man blieb reserviert und wahrte wohlanständige englische Distanz. Er konnte sich sogar für ein paar Stunden mit Zafar im Landhaus der Hoffmans treffen. Nur hatte er keine Ahnung, wo er als Nächstes hinsollte. Er hatte sämtliche Leute angerufen, deren Name ihm einfiel, ohne Erfolg. Dann hörte er seinen Anrufbeantworter ab und fand eine Nachricht von Deborah Rogers vor, der Agentin, von der er sich getrennt hatte, als er zu Andrew Wylie ging. »Ruf mich an«, sagte sie. »Ich glaube, wir können helfen.«
Deb und ihr
Weitere Kostenlose Bücher