Joseph Anton
konnte stundenlang still in einem Zimmer hocken, nachdenken und damit zufrieden sein. Sie bekamen schon einen Koller, wenn sie sich auch nur länger im Haus aufhalten mussten. Allerdings durften sie nach zwei Wochen nach Hause gehen und konnten eine Pause einlegen. Mehrere gestanden ihm mit besorgtem Respekt: »Was Sie mitmachen müssen, würden wir nicht durchhalten«, und dieses Wissen brachte ihm ihr Mitgefühl ein.
Viele seiner Beschützer sagten, was mit ihm gemacht werde, sei falsch. Jeder andere ›Kunde‹ bekam ein ausschließlich ihm zugewiesenes Team, das sich nur um diese eine Person kümmerte. Er konnte kein Team allein für sich bekommen, weil es von den Beamten zu viel verlangt wäre, ihrer Undercover-Tätigkeit rund um die Uhr nachzugehen. Also wurde sein Team aus anderen Teams zusammengestoppelt. Das sei nicht richtig, sagten seine Bewacher. Die Leute, auf die sie üblicherweise aufpassten, gingen ihrem normalen Leben und ihrer beruflichen Tätigkeit nach, wobei das Team sie beschützte, während einige uniformierte Beamte abwechselnd das Haus bewachten. Abends brachten die Leute vom Special Branch den Kunden nach Hause und fuhren dann selbst heim, während die uniformierten Beamten weiterhin Wache standen. »Bei Operation Malachite ist das kein richtiger Personenschutz«, sagten sie. »Wir wurden nicht ausgebildet, Menschen zu verstecken. Das ist einfach nicht unser Job.« Ein normaler Personenschutz aber war teuer, da die in Schichtdienst eingeteilten, uniformierten Beamten viel Geld kosteten. Und die Kosten stiegen, wenn der Kunde mehr als nur ein Haus besaß. Die Oberen im Yard waren offenbar nicht bereit, solche Summen für Operation Malachite auszugeben. Es war billiger, den Kunden zu verstecken und den Personenschützern, die rund um die Uhr bei ihm blieben, Überstunden zu bezahlen. Er erfuhr, dass unter höheren Beamten die Ansicht vorherrschte, Malachite hätte die volle Protektion der britischen Polizei ›nicht verdient‹.
Rasch lernte er, dass eine breite Kluft zwischen den Beamten vor Ort und den Oberen im Yard existierte. Nur wenige Obere hatten sich den Respekt der Jungs verdient. In den folgenden Jahren sollte er nur selten Probleme mit den Mitgliedern der Teams haben, die sich um ihn kümmerten, und manch einer von ihnen wurde ein guter Freund. Mit den älteren Beamten – es sei völlig falsch, wurde ihm erklärt, sie ›höhere Beamte‹ zu nennen, denn »älter mögen sie sein, ›höher‹ sind sie deshalb noch lange nicht« – war dies etwas anderes. In der kommenden Zeit sollte er es mit mehr als nur einem mäkeligen Mr Greenup zu tun bekommen.
Um ihm zu helfen, verstießen sie gegen die Regeln. Zu einer Zeit, in der es ihm verboten war, sich an öffentliche Orte zu begeben, gingen sie mit ihm ins Kino, betraten den Saal, nachdem das Licht ausgegangen war, und verließen ihn, ehe es wieder anging, kein Problem. Zu einer Zeit, in der die Oberen sagten, er sollte nicht nach London gebracht werden, brachten sie ihn in die Häuser seiner Freunde, damit er sich mit seinem Sohn treffen konnte. Und sie halfen ihm nach besten Kräften, damit er seiner Rolle als Vater gerecht werden konnte. Sie fuhren mit ihm und Zafar auf den Sportplatz der Polizei und bildeten spontan Rugby-Mannschaften, damit er mit ihnen laufen und den Ball zuspielen konnte. An Feiertagen gingen sie manchmal sogar mit ihnen auf einen Rummel. Bei einer solchen Gelegenheit entdeckte Zafar an einem Schießstand ein Plüschtier und meinte, es unbedingt haben zu müssen. Einer der Beamten, den alle nur Fat Jack nannten, hörte das. »Das Tier gefällt dir, wie?«, fragte er, spitzte die Lippen und machte: »Mmm, mmm.« Dann ging er zum Stand und legte das Geld hin. Der Schausteller gab ihm das Gewehr mit dem wie immer verstellten Visier, und Fat Jack nickte ernst. »Mmm, mmm«, machte er und inspizierte die Waffe, »dann wollen wir mal.« Er fing an zu schießen. Peng peng peng peng . Die Ziele kippten eins nach dem anderen nach hinten weg, während dem Schausteller die goldbezahnte Kieferlade herunterklappte. »Tja, das sollte genügen«, meinte Fat Jack, legte die Waffe hin und zeigte auf das Plüschtier. »Wir nehmen das da, danke.« Einige Monate später verfolgte Zafar am Fernseher jene glücklichen Momente, in denen Nelson Mandela im Wembley-Stadion eintraf, um sich bei dem Rockkonzert zu verbeugen, das zur Feier seiner Freilassung veranstaltet wurde. Als Mandela aus dem Tunnel zu den Umkleideräumen
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