Joseph und seine Brüder: Vier Romane in einem Band (Fischer Klassik Plus) (German Edition)
auch die des Hausherrn, und namentlich war es die Rahels, welche zwar dem Ankömmling zuerst begegnet war und ihre Rolle auf Erden gut genug kannte, um zu wissen, daß sie hübsch und schön war, Lea dagegen blödgesichtig, – aber bei ihrem bereitschaftsvoll prüfenden Schauen am Brunnen, das für Jaakob so ergreifend gewesen war, keineswegs nur an sich gedacht hatte. Das Leben wollte, daß sie im Augenblick von des Vetters Ankunft zu der Schwester und Gespielin in ein Verhältnis weiblichen Wettbewerbes trat, aber nicht in bezug auf die Entscheidungsfrage, wen er wählen werde (wobei es allenfalls ihre Sache sein mochte, zunächst einmal die größere Anziehung für sie beide auszuüben); sondern dies Verhältnis galt ihr erst eigentlich für später und betraf die Frage, wer von ihnen dem VetterGatten die bessere, tüchtigere, fruchtbarere und geliebtere Frau sein werde, eine Frage also, in der sie nichts voraus hatte und die mit etwas mehr oder weniger augenblicklicher Anziehungskraft durchaus nicht beantwortet war.
So also sah man im Hause Labans die Dinge an, und nur Jaakob selbst – dies eben war die Quelle manches Mißverständnisses – sah sie nicht so an. Denn erstens wußte er zwar, daß man außer der Rechten Kebsfrauen und sklavische Beischläferinnen haben könne, die einem halbechte Kinder gebären, aber es war ihm nicht bekannt, und er erfuhr es lange nicht, daß hierzulande, namentlich aber gerade in Charran und Umgegend, die Ehe mit zwei gleichberechtigten Hauptfrauen sehr häufig, ja unter guten Vermögensumständen geradezu üblich war; und ferner waren ihm Herz und Sinn von Rahels Lieblichkeit viel zu erfüllt, als daß er an die etwas ältere, stattlichere und häßliche Schwester auch nur hätte denken mögen, – er dachte nicht einmal an sie, wenn er aus Höflichkeit mit ihr sprach, und sie merkte es wohl und senkte bitteren Mundes, in würdigem Kummer die Lider über ihr Schielen, – wie auch Laban es merkte und Eifersucht empfand für seine Ältere, obgleich er den Vetter-Freier kontraktlich zum Mietssklaven herabgesetzt hatte, worüber er sich um der vernachlässigten Lea willen freute.
Jaakob tut einen Fund
So oft wie möglich also sprach Jaakob mit Rahel, aber selten genug konnte es geschehen, denn beiden lag tagsüber viel Arbeit auf, und Jaakob besonders war in der Lage des Mannes, den ein großes Gefühl erfüllt, welches er gern zu seiner einzigen Angelegenheit machen würde, der sich aber außerdem zu strenger Tätigkeit angehalten sieht, und zwar gerade um seiner Liebe willen, – welcher doch auch wieder durch die Arbeit Abbruch geschieht, da er sie in ihr vergessen muß. Für einen Mann von Gefühl, wie Jaakob es war, ist das hart, denn im Gefühle möchte er ruhen und ganz diesem leben, darf aber nicht, sondern muß seinen Mann stehen eben dem Gefühle zu Ehren, denn welche Ehre bliebe wohl diesem, täte er’s nicht? Wirklich war das ein und dieselbe Angelegenheit, sein Gefühl für Rahel und seine Arbeit in Labans Wirtschaft; denn wie sollte er mit jenem bestehen, falls es ihm in dieser nicht glückte? Laban mußte sich vom Vollgehalte des Wertes, auf den der Neffe sich stützte, durchaus überzeugen, und sehr erwünscht mußte es ihm werden, ihn an sich zu fesseln. Es durfte, mit einem Wort, der Segen Isaaks nicht zuschanden werden, denn das ist Mannes Sache: Hand anzulegen, damit der Segen, den er ererbt, nicht zuschanden werde, sondern zu Ehren bringe das Gefühl seines Herzens.
Damals, zu Anfang von Jaakobs Aufenthalt, war der Weideplatz, zu dem er morgens, einigen Mundvorrat in seiner Hirtentasche, eine Schleuder am Gürtel und die lange Stabwaffe in der Hand, Labans Kleinvieh trieb, um es tagsüber dort mit dem Hunde Marduka zu hüten, nicht weit von seines Oheims Anwesen, nur etwa eine Stunde von ihm entfernt gelegen, und das hatte den Vorteil, daß Jaakob nachts nicht draußen zu bleiben brauchte, sondern bei Sonnenuntergang heimtreiben und auf dem Hofe in Rat und Tat sein Licht leuchten lassen konnte. Das war ihm lieb, denn sein Hirtenamt bot ihm vorderhand wenig Gelegenheit, dem Onkel den Eindruck zu erwecken, daß Segen mit ihm, dem Flüchtling, in die Wirtschaft eingezogen sei. Es fehlte zwar kein Lamm, wenn er abends bei der Einpferchung vor Labans Augen die Herde zählend unter seinem Stocke durchgehen ließ, und nicht nur erzog er den Sommerwurf schnellstens zum Fressen, so daß Laban viel Milch und Dickmilch gewann, sondern heilte auch einen der beiden
Weitere Kostenlose Bücher