Joseph und seine Brüder: Vier Romane in einem Band (Fischer Klassik Plus) (German Edition)
kommen, von denen aber wir, zur endgültigen Klarstellung der Geschichte, auch wieder nicht allzuviel abziehen dürfen, um nicht die Wahrheit neuerdings zu verrücken. Die Übertreibung liegt tatsächlich großen Teiles nicht erst in den Glossen und Auskünften der Späteren, sondern sie lag in den Originalgeschehnissen selbst oder eigentlich in den Menschen; denn wir wissen ja, wie diese allezeit zur Maßlosigkeit in der Bewertung und Bezahlung von Gütern neigen, die zu bewundern und zu begehren sie einmal modisch übereingekommen sind. So war es mit Jaakobs Zuchterzeugnissen. Das Gerücht ihrer beispiellosen Vortrefflichkeit verbreitete sich mit der Zeit in der näheren und weiteren Umgebung von Charran unter seines- und Labansgleichen, wobei wir ununtersucht lassen müssen, wieweit eine gewisse Verblendung, bewirkt durch die Segensmacht des Mannes, mit im Spiele war. Auf jeden Fall war die Versessenheit, auch nur ein einziges Jaakobsschaf zu gewinnen, allgemein unter den Leuten. Sie machten eine Ehrensache daraus. Sie pilgerten weither, um mit ihm zu handeln, und wenn sie an Ort und Stelle erkannten, daß das Gerücht geprahlt hatte und daß es sich um gewöhnliche und natürliche Schafe handelte, wenn auch um sehr gute, so zwangen sie sich dennoch um der Mode willen, Wundertiere darin zu sehen, und ließen sich sogar wissentlich von ihm betrügen, indem sie ein Schaf, dem offenkundig schon die Schaufelzähne ausfielen und das also mindestens sechsjährig war, auf seine bloße Versicherung hin für einen Jährling oder einen Vollsetzer nahmen. Sie zahlten ihm, was er verlangte. Es heißt, daß er für ein Schaf einen Esel, ja ein Kamel, sogar einen Sklaven oder eine Sklavin erhalten habe, – Übertreibungen, wenn man solche Geschäfte verallgemeinert und als Regel ansetzt; aber Tauschzugeständnisse solchen Charakters kamen vor, und selbst was die Sklaven als Gegenwert betrifft, ist etwas daran. Denn Jaakob brauchte auf die Dauer Hilfskräfte in seinem Betriebe, Unterhirten, die er seinen Handelspartnern abmietete und deren Preis er in den der gelieferten Ware: Wolle, Dickmilch, Felle, Sehnen oder lebende Tiere, einrechnete. Im Laufe der Jahre kam es sogar so, daß er einzelne dieser Unterhirten in Ansehung von Weide, Pflege und Bewachung des Viehs ganz selbständig machte und eine feste Abgabe mit ihnen vereinbarte: jährlich sechsundsechzig oder siebzig Lämmer für hundert Schafe, ein Sila Dickmilch für dieselbe Zahl oder anderthalb Minen Wolle für das Stück, – Erträgnisse, die natürlich Labans waren, von denen aber, indem sie durch Jaakobs Hände gingen, manches in diesen Händen zurückblieb, schon weil er aufs neue damit zu wuchern verstand.
War das aller Segen, den Laban, der Erdenkloß, erfuhr durch Jaakobs Walten? Nein – vorausgesetzt, daß die glücklichste und unerhoffteste Zunahme, die der Mann zu verzeichnen hatte, mit des Neffen Anwesenheit ursächlich zusammenhing: eine unbedingt und auf jeden Fall gesicherte Annahme, ob man der freudigen Erscheinung nun eine vernunftgemäße oder geheimnisvolle Deutung geben will. Was wir hier zu berichten haben, würde uns, wenn wir Geschichtenerfinder wären und es, im stillen Einvernehmen mit dem Publikum, als unser Geschäft betrachteten, Lügenmärlein für einen unterhaltenden Augenblick wie Wirklichkeit aussehen zu lassen, sicher als Aufschneiderei und unmäßige Zumutung ausgelegt werden, und der Vorwurf bliebe uns nicht erspart, wir nähmen den Mund zu voll von Fabel und Jägerlatein, nur um noch einen Trumpf aufzusetzen und eine Lauschergutgläubigkeit zu verblüffen, die denn doch ihre Grenzen habe. Desto besser also, daß dies unsere Rolle nicht ist; daß wir uns vielmehr auf Tatsachen der Überlieferung stützen, deren Unerschütterlichkeit nicht darunter leidet, daß sie nicht alle allen bekannt sind, sondern daß einige davon einigen wie Neuigkeiten lauten. So sind wir in der Lage, unsere Aussagen mit einer Stimme abzugeben, die, gelassen, wenn auch eindringlich und ihrer Sache sicher, solche sonst zu befürchtenden Einwürfe von vornherein abschneidet.
Mit einem Worte, Laban, Bethuels Sohn, wurde während der ersten sieben Jahre, die Jaakob ihm diente, wieder Vater, und zwar Vater von Söhnen. Ersatz wurde dem zunehmenden Manne beschert für das verfehlte und offenbar verworfene Opfer von einst, für das Söhnchen in der Kruke: nicht einfacher Ersatz, sondern dreifacher. Denn dreimal nacheinander, im dritten, vierten und fünften Jahre
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