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Joseph und seine Brüder: Vier Romane in einem Band (Fischer Klassik Plus) (German Edition)

Joseph und seine Brüder: Vier Romane in einem Band (Fischer Klassik Plus) (German Edition)

Titel: Joseph und seine Brüder: Vier Romane in einem Band (Fischer Klassik Plus) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Mann
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und freute sich über die Maßen, und sein Herz schlug mächtig, wenn er der Stunde gedachte. Denn Rahel war nun neunzehn und hatte seiner gewartet in der Reinheit ihres Geblütes, gefeit durch sie gegen böse Berührung und Krankheit, die sie dem Bräutigam hätte zerstören können, so daß vielmehr in Ansehung ihrer Blüte und Lieblichkeit alles sich erfüllt hatte, was Jaakob ihr zärtlich verkündigt, und sie reizend zu sehen war vor den Töchtern des Landes mit ihrer in zierlichen Maßen vollkommenen und angenehmen Gestalt, ihren weichen Flechten, den dicken Flügeln ihres Näschens, dem kurzsichtig-süßen Schauen ihrer schrägen, mit freundlicher Nacht gefüllten Augen und namentlich dem lächelnden Aufliegen ihrer Oberlippe auf der unteren, das eine so hold ansprechende Bildung der Mundwinkel bewirkte. Ja, lieblich war sie vor allen; wenn wir aber aussagen, wie Jaakob selbst es stets bei sich selber sagte, daß sie es am meisten war vor Lea, ihrer größeren Schwester, so will das nicht heißen, daß diese häßlicher gewesen wäre als alle; sondern nur den nächsten Vergleich bildete sie, und nur unter dem Gesichtspunkt des Lieblichen fiel er zu Lea’s Ungunsten aus, – während doch sehr wohl ein Mann zu denken gewesen wäre, der, diesem Gesichtspunkte weniger unterworfen als Jaakob, der Älteren trotz der entzündlichen Blödigkeit ihrer blauen Augen, über deren Schielen sie stolz und bitter die Lider senkte, sogar den Vorzug gegeben hätte wegen der Fülle und Blondheit ihres schwer geknoteten Haares und der Stattlichkeit ihres zur Mutterschaft tüchtigen Leibes. Auch ist, schon zu Ehren der kleinen Rahel, nicht genug zu betonen, daß diese sich keineswegs über die ältere Schwester erhob, indem sie etwa gegen sie auf ihr einnehmendes Lärvchen gepocht hätte, nur weil sie des schönen Mondes Kind und Gleichnis war und Lea des abnehmenden. So unbelehrt war Rahel nicht, daß sie nicht auch das blöde Gestirn im Recht seines Zustandes geehrt hätte, ja, im Grunde ihres Gewissens mißbilligte sie es, daß Jaakob die Schwester so ganz verwarf und so zügellos-einseitig nur ihr sein ganzes Gefühl zuwandte, obgleich sie weibliche Genugtuung darüber auch wieder nicht ganz aus ihrem Herzen verbannen konnte.
    Das Fest des Beilagers war auf den Vollmond der Sommersonnenwende angesetzt worden, und auch Rahel bekannte, daß sie sich freute auf den hohen Tag. Aber wahr ist, daß sie sich auch wieder traurig zeigte in den vorhergehenden Wochen und an Jaakobs Wange und Schulter stille Tränen vergoß, ohne auf sein inniges Fragen anders zu antworten als mit mühsamem Lächeln und einem Kopfschütteln, so rasch, daß ihr die Tränen von den Augen sprangen. Was hatte sie auf dem Herzen? Jaakob verstand es nicht, obgleich auch er damals oft traurig war. Trauerte sie um ihr Magdtum, weil nun die Zeit ihrer Blüte zur Neige ging und sie ein Baum sein sollte, der Früchte trug? Das wäre jene Lebenstrauer gewesen, die keineswegs unvereinbar ist mit dem Glück und die Jaakob zu jener Zeit häufig empfand. Denn des Lebens Hochzeitspunkt ist des Todes Punkt und ein Fest der Wende, da der Mond den Tag seiner Höhe und Fülle begeht und kehrt von nun an sein Angesicht wieder der Sonne zu, in die er versinken soll. Jaakob sollte erkennen, die er liebte, und zu sterben beginnen. Denn nicht bei Jaakob allein sollte fortan alles Leben sein, und nicht allein stehen sollte er länger als Einziger und Herr der Welt; sondern in Söhne sollte er sich lösen und für seine Person des Todes sein. Doch würde er sie lieben, die sein zerteiltes und verschieden gewordenes Leben trugen, weil es das seine war, das er erkennend ergossen hatte in Rahels Schoß.
    Zu dieser Zeit hatte er einen Traum, an den er sich, seiner eigentümlich friedlichen und versöhnlichen Traurigkeit wegen, lange erinnerte. Er träumte ihn in warmer Tammuznacht, die er auf dem Felde bei den Hürden verbrachte, während als schmal gebordete Barke der Mond schon am Himmel schwamm, der, zu runder Schönheit gediehen, die Nacht der Wonne bescheinen sollte. Ihm war, als sei er noch auf der Flucht von zu Hause, oder sei es wieder; als müsse er neuerdings in die rote Wüste reiten, und vor ihm her trabte, die Rute waagerecht ausgestreckt, der Spitzohrige, Hundsköpfige, her, sah sich um und lachte. Es war zugleich immer noch so und wieder so; die Situation, dereinst nicht recht zur Entwicklung gekommen, hatte sich wieder hergestellt, um sich zu ergänzen.
    Es war

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