Joseph und seine Brüder: Vier Romane in einem Band (Fischer Klassik Plus) (German Edition)
Jaakob gepflegten, dem Kleinvieh Labans, welches gedieh wie kein anderes, so daß an ihm der Segen Jizchaks sich bewährte, wie nie zuvor, und Laban dessen immer froher ward, daß er den Neffen zum Knecht gewonnen, denn sein Nutzen war groß, und er staunte schwer ob dieser Blüte, wenn er auf einem Ochsen herausgeritten kam, eine Tagereise weit oder auch zwei, um die Zucht zu mustern, sprach aber nichts, weder im Guten noch im Bösen – auch im Bösen nichts, denn die einfachste Klugheit gebot ihm, einem solchen Züchter und Segensmann durch die Finger zu sehen, sofern auch dieser auf seinen eigenen Nutzen sah und in Handel und Wandel manches persönlich beiseite brachte nach offen verkündetem Grundsatz. Es wäre unweise gewesen, den Grundsatz anzufechten, falls er mit Maßen gehandhabt wurde; denn solch ein Mann wollte zart angefaßt sein, und man durfte ihm nicht den Segen im Leibe verstimmen.
Wirklich war Jaakob als Viehzüchter und Herr des Schafstalls erst recht in seinem Element, weit mehr denn zuvor auf dem Hof als Herr des Wassers und Gartens. Er war ein Hirt von Geblüt und Charaktergepräge, ein Mondmann, kein Sonnen- und Ackersmann; das Weideleben, so viel Plackerei und selbst Gefahren es bot, entsprach den Wünschen seiner Natur, es war würdig und betrachtsam, es ließ ihm Muße, an Gott und Rahel zu denken; und was die Tiere betraf, so liebte er sie mit Herz und Sinn: ja, recht mit seinen sanften und starken Sinnen war er ihnen zugetan, er liebte ihre Wärme, ihr rupfend weit verteiltes und wieder zusammengedrängtes Leben, den idyllischen und vielstimmig abgestuften Chor ihres Geblöks unter der Weite des Himmels, – liebte ihre fromm verschlossenen Physiognomien, die waagerecht abstehenden Ohrlöffel, die weit auseinanderliegenden spiegelnden Augen, zwischen denen die Stirnwolle den oberen Teil der platten Nase bedeckte, das mächtige, heilige Haupt des Widders, das zarter und hübscher gestaltete des Mutterschafs, das unwissende Kindergesicht des Lammes – liebte die zottig gekräuselte, kostbare Ware, die sie friedlich umhertrugen, das immer nachwachsende Vlies, das er ihnen im Frühjahr und Herbst, zusammen mit Laban und den Knechten, auf dem Rücken wusch, um es dann abzuscheren; und Meisterschaft gewann seine Sympathie in der Betreuung und klugen Regelung ihrer Brunst und Fruchtbarkeit, die er mit andächtiger Sorgfalt nach genauer Kenntnis der Schläge und Individuen, der Eigenschaften von Wolle und Körperverhältnissen, in die Bahnen seines Züchterverstandes zu lenken wußte, – ohne daß wir behaupten wollten, die wunderbaren Ergebnisse, die er erzielte, seien nur diesem zuzuschreiben gewesen. Denn nicht allein, daß er die Rasse hob und an Woll- wie an Fleischschafen prächtig-wertvollste Stücke gewann, sondern auch die Vermehrung und vielgebärende Fortpflanzungskraft der Herde überstieg alles gewohnte Maß und war außerordentlich unter seinen Händen. Es gab kein unträchtig Muttervieh in seinen Pferchen, sie warfen alle, sie warfen Zwillinge und Drillinge, sie waren fruchtbar mit acht Jahren noch, die Zeit ihrer Brunst währte zwei Monate und die ihrer Trächtigkeit nur vier, ihre Lämmer wurden reif zu Sprung und Empfängnis mit einem Jahre, und fremde Hirten behaupteten, in Jaakobs, des Westländers, Herde bockten bei Vollmond die Schöpse. Das war Scherz und Aberglaube; aber es beweist die augenfällige Außerordentlichkeit von Jaakobs Erfolgen auf diesem Gebiet, die offenbar über den schlichten Fachverstand gingen. Mußte man wirklich das Wirken der Landesgöttin der Umarmung zur Erklärung der neiderregenden Erscheinung heranziehen? Nach unserer Meinung ist statt dessen der Gedanke zu fassen, daß ihre Quelle in dem Herrn des Schafstalles selber lag. Er war ein wartend Liebender; er durfte noch nicht fruchtbar sein mit Rahel; und wie schon oft in der Welt eine solche Hemmung und Stauung der Wünsche und Kräfte ihren Ausweg in großen Geistestaten gefunden hat, so fand sie hier, in ähnlich verblümter Übertragung, ihren Behelf in der Blüte eines der Sympathie und Pflege des Leidenden unterstellten natürlichen Lebens.
Jene Überlieferung, die den gelehrten Kommentar eines Urtextes bildet, der seinerseits die späte schriftstellerische Fassung von Hirten-Wechselgesängen und Schönen Gesprächen darstellt, weiß Übererfreuliches zu melden von Jaakobs glücklichen Handelsgeschäften in Schafen; sie läßt sich um der Verherrlichung willen Übertreibungen zuschulden
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