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Joseph und seine Brüder: Vier Romane in einem Band (Fischer Klassik Plus) (German Edition)

Joseph und seine Brüder: Vier Romane in einem Band (Fischer Klassik Plus) (German Edition)

Titel: Joseph und seine Brüder: Vier Romane in einem Band (Fischer Klassik Plus) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Mann
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haben.
    Es war groß und weitläufig, ein Kleid und Überkleid, mit weiten Ärmeln, zum Hineinfahren, wenn man wollte, und so geschnitten, daß ein Teil davon verhüllend über das Haupt zu ziehen oder auch um Haupt und Schultern zu winden war, oder man mochte es über den Rücken hinabhängen lassen. Sonderbar ungewiß war das jungfräuliche Gewand in den Händen zu wiegen, denn es war leicht und schwer zugleich und von ungleicher Schwere da und dort: leicht durch sein äußerst blaßblaues Grundgewebe, so fein gesponnen, als sei es ein Hauch der Luft, ein Nebel und Nichts, in einer Hand zusammenzupressen, daß man es nicht mehr sähe, und wieder von überall eingesprengter Schwere, durch die Bildstickereien, die es bunt und glitzernd bedeckten, ausgeführt in dichter, erhabener Arbeit, golden, bronzen, silbern und in allerlei Farbe des Fadens: weiß, purpurn, rosa, olivenfarben, auch schwarz und weiß und bunt zusammengefügt, wie man in Schmelzfarben malt, – die sinnigsten Zeichen und Bilder. Ischtar-Mami’s Figur war oft und in verschiedener Ausführung dargestellt, nackt und klein, wie sie mit den Händen Milch aus ihren Brüsten preßt, Sonne und Mond zu ihren Seiten. Überall kehrte vielfarbig der fünfstrahlige Stern wieder, der »Gott« bedeutet, und silbern glänzte öfters die Taube, als Vogel der Liebes- und Muttergöttin, im Gewebe. Gilgamesch, der Held, zu zwei Dritteilen Gott und zu einem Mensch, war da zu sehen, wie er im Arm einen Löwen drosselt. Deutlich erkannte man das Skorpionmenschenpaar, das am Ende der Welt das Tor bewacht, durch welches die Sonne zur Unterwelt eingeht. Man sah unterschiedliches Getier, einst Buhlen der Ischtar, verwandelt von ihr, einen Wolf, eine Fledermaus, dieselbe, die einst Ischallanu, der Gärtner, gewesen. In einem bunten Vogel aber erkannte man Tammuz, den Schäfer, den ersten Gesellen ihrer Wollust, dem sie Weinen bestimmt hatte Jahr für Jahr, und nicht fehlte der feuerhauchende Himmelsstier, den Anu entsandte gegen Gilgamesch um Ischtars enttäuschten Verlangens und brünstiger Klage willen. Da Rahel das Kleid ließ durch ihre Hände gehen, sah sie einen Mann und ein Weib sitzen zu beiden Seiten eines Baumes, nach dessen Früchten sie die Hände streckten; aber im Rücken des Weibes bäumte sich eine Schlange. Und ein heiliger Baum wiederum war gestickt: an dem standen zwei bärtige Engel gegeneinander und berührten ihn zur Befruchtung mit den schuppigen Zapfen der männlichen Blüte; über dem Lebensbaum aber schwebte, von Sonne, Mond und Sternen umgeben, das Zeichen der Weiblichkeit. Auch waren Sprüche mit eingestickt, in breit-spitzen Zeichen, die lagen und schräg oder gerade standen und sich verschiedentlich kreuzten. Und Rahel entzifferte: »Ich habe mein Kleid ausgezogen, soll ich’s wieder anziehen?«
    Sie spielte viel mit dem bunten Gespinst, dem Schleierprunkgewande; sie schlang es um sich, drehte und wendete sich darin und drapierte sich erfinderisch mit seiner bilderreichen Durchsichtigkeit. Das war ihre Unterhaltung, während sie eingezogen wartete und die anderen das Fest rüsteten. Zuweilen erhielt sie Besuch von Lea, ihrer Schwester. Auch diese versuchte dann die Schönheit des Schleiers an ihrer Person, und danach saßen sie zusammen, das Gewebe in ihren Schößen, und weinten, indes sie einander streichelten. Warum weinten sie? Das war ihre Sache. Doch so viel sagen wir, daß jede es aus besonderem Grunde tat.
    Wenn Jaakob sich schwimmenden Blickes erinnerte und alle Geschichten, die sich in seine Miene geschrieben und von denen sein Leben schwer und würdig war, in ihm auferstanden und sinnende Gegenwart wurden, wie es geschah, als er mit dem roten Zwilling den Vater begrub: der Tag und die Geschichte waren dann gegenwartsmächtig vor allen, die ihm eine so schrecklich sinnverstörende Niederlage und Demütigung seines Gefühles zugefügt hatten, daß seine Seele es lang nicht verwand und eigentlich erst wieder zum Glauben an sich selber genas in einem Gefühl, das die Auferstehung des damals zerrissenen und geschändeten war, – vor allem lebendig waren ihm dann seiner Hochzeit Tag und Geschichte.
    Sie hatten sich alle gewaschen an Haupt und Gliedern, die Labansleute, im Segenswasser des Teichs, hatten sich gesalbt und gekräuselt nach Gebühr, das Feierkleid angetan und viel Duftöl verbrannt, die einlangenden Gäste mit süßem Dunst zu empfangen. Die waren gekommen, zu Fuß, zu Esel und auf Karren, gezogen von Rindern und Maultieren,

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