Joseph und seine Brüder: Vier Romane in einem Band (Fischer Klassik Plus) (German Edition)
in Ungeduld, die er geheim hielt.
Ja, der Spruch und des Öles Aussage – es stand dunkel und mehrdeutig darum; viel klüger war man nicht in ihrem Besitze als vorher, denn sie lauteten tröstlich und drohend zugleich, aber so mußte Zukunft wohl lauten, wenn sie redete, und man hatte doch immerhin einen Laut von ihr, wenn es auch nur ein Summen war und ein Reden mit ungetrennten Lippen. Rimanni-Bel hatte den Zedernstab genommen und die Schale, hatte gebetet und gesungen und Öl gegossen in Wasser sowie Wasser in Öl und mit schiefem Kopfe die Bildungen des Öles betrachtet im Wasser. Aus dem Öl waren zwei Ringe herausgekommen, groß einer und einer klein: so würde Rahel, des Schafzüchters Tochter, allem Anscheine nach einen Knaben gebären. Aus dem Öl war ein Ring gekommen gegen Osten und war stehengeblieben: so würde gesund werden die Gebärerin. Aus dem Öl war beim Schütteln eine Blase gekommen: so würde ihr Schutzgott bei ihr stehen in der Not, denn es würde schwer sein. Aus der Not würde der Mensch entkommen, denn das Öl war gesunken und gestiegen, da man Wasser hineingoß, es hatte sich zerteilt und zurückkehrend wieder vereint, so würde der Mensch, wenn auch nach argem Leiden, dennoch gesund werden. Da aber das Öl, als man Wasser hineingegossen, untergesunken und dann wieder hochgekommen war und den Rand des Bechers erfaßt hatte, so würde zwar erstehen der Kranke, aber der Gesunde werde des Todes sein. »Doch nicht der Knabe!« konnte Jaakob sich nicht enthalten zu rufen ... Nein, für das Kind lag es vielmehr umgekehrt, den Winken des Öles zufolge, die aber gerade hier nicht leicht begreiflich waren dem Menschensinn. Das Kind werde in die Grube fahren und dennoch leben, es werde sein wie das Korn, das nicht Frucht trägt, es stürbe denn. Dieser Sinn, hatte Rimut versichert, sei unzweifelhaft nach der Art, wie das Öl, als er Wasser hineingegossen, zuerst entzweigegangen war, dann aber sich wieder vereinigt und an seinem Rande nach der Sonne zu eigentümlich geglänzt habe, denn dies bedeute Erhebung des Hauptes aus dem Tode. Recht verständlich sei es nicht, hatte der Seher gesagt, er selber verstehe es nicht, er mache sich nicht weiser vor ihnen, als er sei, aber der Wink sei verlässig. In Ansehung dagegen der Frau, so werde sie der Probe und Gegenprobe zufolge den Stern ihres Knaben nicht sehen, wenn er am höchsten stände, es sei denn, sie hüte sich vor der Zahl 2. Denn dies sei überhaupt eine Unglückszahl, aber für des Schafzüchters Tochter besonders, und dem Öle nach solle sie die Reise nicht antreten im Zeichen 2, sie werde sonst sein wie ein Heer, das das Haupt seines Feldes nicht erreiche.
So der Spruch und des Spruches Gemurmel, das Jaakob kopfnickend anhörte, indem er zugleich die Achseln zuckte. Was sollte man anfangen damit? Es war wichtig zu hören, weil es sich auf Rahel bezog und ihr Kind, im übrigen aber mußte man es auf sich beruhen lassen und es der Zukunft anheimgeben, was sie aus ihrem Gemurmel zu machen gedachte. Hierin wahrten Schicksal und Zukunft sich ohnehin weitgehend freie Hand. Vieles konnte geschehen und nicht geschehen, und es würde immer noch mit dem Spruche leidlich in Einklang zu bringen sein, so daß man erkennen mochte, so also sei es gemeint gewesen. Jaakob grübelte manche Stunde noch über das Wesen des Orakels im allgemeinen und redete auch vor Laban davon, der aber nichts wissen wollte. War es seiner Natur nach die Enthüllung eines Zukünftigen, an dem nichts zu ändern war, oder war es eine Anweisung zur Vorsicht und eine Mahnung dem Menschen, das Seine zu tun, daß ein verkündigtes Unglück nicht eintrete? Dies hätte vorausgesetzt, daß Ratschluß und Schicksal nicht feststanden, sondern daß es dem Menschen gegeben war, sie zu beeinflussen. War dies aber der Fall, so war die Zukunft nicht außer dem Menschen, sondern in ihm, und wie war sie dann lesbar? Übrigens war es oft vorgekommen, daß durch vorbeugende Maßregeln das unglücklich Verkündete geradezu herbeigeführt worden war, ja, ohne diese Maßregeln offenbar gar nicht hätte geschehen können, wodurch die Warnung sowohl wie das Schicksal zum Dämonenspott wurde. Das Öl hatte gesprochen, Rahel werde, wenn auch sehr schwer, eines Sohnes genesen. Wenn man nun aber die Kreißende vernachlässigte, keine Beschwörungen sprach, ihr die notwendigen Salbungen vorenthielt: wie würde dann das Schicksal es anfangen, seinem glückhaften Spruche treu und es selber zu bleiben? Dann
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