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Joseph und seine Brüder: Vier Romane in einem Band (Fischer Klassik Plus) (German Edition)

Joseph und seine Brüder: Vier Romane in einem Band (Fischer Klassik Plus) (German Edition)

Titel: Joseph und seine Brüder: Vier Romane in einem Band (Fischer Klassik Plus) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Mann
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nicht, wenn geschehen sollte, was geschah, und wenn die Tatsache, daß es geschah, auch zugleich der Beweis dafür ist, daß es geschehen sollte und mußte. Das Geschehen der Welt ist groß, und da wir nicht wünschen können, es möchte lieber friedlich unterbleiben, dürfen wir auch die Leidenschaften nicht verwünschen, die es bewerkstelligen; denn ohne Schuld und Leidenschaft ginge nichts voran.
    Wieviel Aufhebens gemacht wurde von Rahels Zustand, das war allein schon ein Ärger und Greuel für Lea, nach deren rüstigen Schwangerschaften niemals ein Hahn gekräht hatte. Rahel war gleichsam heilig geworden durch die ihre, eine Auffassung, deren Urheber natürlich Jaakob war, der aber kein Hausgenosse, von Laban angefangen, bis hinab zum letzten Hofsklaven und Stallräumer, sich zu entziehen vermochte. Man ging auf den Zehenspitzen um sie herum, man sprach nicht anders zu ihr als mit süßlich, wehleidiger Stimme, indem man schiefen Kopfes Handbewegungen beschrieb, als streichelte man den Luftraum, der ihre Gestalt umgab. Nichts fehlte, als daß man Palmzweige und Teppiche hingebreitet hätte, wo sie ging, damit ihr Fuß nicht an einen Stein stoße; und bläßlich lächelnd ließ sie die Hofmacherei sich gefallen, weniger aus Eigenliebe als um der Jaakobsfrucht willen, mit der sie endlich gesegnet war: zu Ehren Dumuzi’s, des Echten. Aber wer unterscheidet wohl Demut und Hoffart der Gesegneten?
    Behangen mit Amuletten, durfte sie keine Hand rühren in Haus, Hof, Garten und Feld. Jaakob verbot es. Er weinte, wenn sie nicht essen oder das Gegessene nicht behalten konnte; denn wochenweise ging es ihr kläglich, und man befürchtete sehr den hämischen Einfluß irgendwelchen Gelichters. Beständig legte Adina, ihre Mutter, ihr Salbenverbände auf, die sie nach alten Rezepten herstellte und deren Kräfte zwiefach waren: sowohl zauberhaft schützend und abschreckend, wie auch auf natürliche Weise heilsam und schmeidigend wirkten die Gemenge. Sie zerrieb Nachtschatten, Hundszunge, Gartenkresse und die Wurzel der Pflanze Namtars, des Herrn der sechzig Krankheiten, rührte das Pulver mit reinem, eigens besprochenem Öle an und massierte der Hoffenden die Nabelgegend damit von unten nach oben, indem sie auf verwaschene, alles ineinander ziehende und halb sinnlose Weise murmelte:
    »Der böse Utukku, der böse Alu mögen beiseite treten; böser Totengeist, Labartu, Labaschu, Herzkrankheit, Bauchgrimmen, Kopfkrankheit, Zahnschmerz, Asakku, schwerer Namtaru, geht aus dem Hause, beim Himmel und bei der Erde sollt ihr beschworen sein!«
    Im fünften Monat bestand Laban darauf, daß Rahel zu einem Sehe-Priester des Sin-Tempels E-chulchul nach Charran gebracht werde, damit er ihr und dem Kinde durch Wahrsagung die Zukunft deute. Jaakob wahrte nach außen hin seine Grundsätze, indem er sich dagegen aussprach und seine Teilnahme verweigerte, brannte aber im Grunde nicht weniger als die Verwandten auf den Spruch und war der erste, zu wünschen, daß nichts versäumt werde. Überdies war der alte Seher und Hausbetreter Rimanni-Bel, das ist: Bel, erbarme dich meiner, ein Sohn und Enkel von Sehern, um den es sich handelte, ein besonders volkstümlicher und kunsterfahrener Weissager und Ölkundiger, der nach allgemeinem Urteil meisterhaft sah und zu dem immerdar großer Zudrang herrschte; und wenn Jaakob es selbstverständlich ablehnte, als Fragender vor ihn zu treten und dem Monde zu opfern, so war er doch viel zu neugierig auf alles, was, unter welchem Gesichtspunkt immer, über Rahels Zustand und Aussichten etwa zu sagen war, als daß er die Eltern nicht nachsichtig hätte gewähren lassen sollen.
    Sie waren es also, Laban und Adina, die auf dem Wege nach Charran zu beiden Seiten den Zaum des Esels hielten, auf dem die Schwangere saß, und ihn behutsam führten, daß sein Fuß nicht stolpere und nicht die Bleiche erschüttert werde. Hintennach aber zerrten sie das Schaf, das sie opfern wollten. Jaakob, der ihnen gewinkt hatte, blieb zu Hause, um nicht den Prunkgreuel zu sehen von E-chulchul und nicht ein Ärgernis zu nehmen am zugehörigen Hause der Buhlweiber und Liebesknaben, die sich den Fremden überließen für schweres Geld, zu Ehren des Abgottes. Er wartete, ohne eigene Verunreinigung, den Spruch des Sehersohnes ab, die Becherweissagung, die jene nachdenklich heimbrachten, und lauschte schweigend ihren Erzählungen, wie es ihnen im Tempelbezirk und vor dem Angesichte Rimanni-Bels, des Ölbeschauers, oder Rimuts, wie er sich

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