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Joseph und seine Brüder: Vier Romane in einem Band (Fischer Klassik Plus) (German Edition)

Joseph und seine Brüder: Vier Romane in einem Band (Fischer Klassik Plus) (German Edition)

Titel: Joseph und seine Brüder: Vier Romane in einem Band (Fischer Klassik Plus) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Mann
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allenfalls doch von ihm kommen konnten und jedenfalls die einzigen waren, die es zu befolgen gab. Öfters hatte Rahel, bleich, abgezehrt und stark nur in Leibesmitte, wo die Frucht in unwissender Erbarmungslosigkeit all ihre Kräfte und Säfte zu ihrem Gedeihen an sich zog, lächelnd seine Hand dorthin geführt, wo er des Kindes dumpfe Stöße ertasten konnte, und durch die Fleischesdecke hatte er Dumuzi, den echten Sohn, begrüßt und ihm zugeredet, sich bald ein Herz zu fassen zum Tageslicht, aber gewandt und schonend zu entschlüpfen der Berge, damit nicht über Gebühr zu leiden habe die Bergerin. Da nun ihr armes Gesicht sich lächelnd verzerrte und sie mit kurzem Atem zu wissen gab, sie fühle, es nahe, geriet er in größte Aufregung, rief die Eltern und Mägde herbei, befahl, die Ziegel zu rüsten, lief hin und her in gegenstandsloser Geschäftigkeit, und sein Herz war voller Flehen.
    Rahels Bereitwilligkeit und guter Mut sind nicht genug zu rühmen. In freudiger Tapferkeit, entschlossen, sich tüchtig zu erweisen im Tun und Dulden, trat sie ein ins Werk der Natur. Nicht um des äußeren Ansehens willen, und weil sie vor den Leuten nicht länger die Kinderlose, Gehaßte vorstellen sollte, war sie so rührig, sondern aus tieferen, körperlicheren Ehrengründen; denn nicht nur die Menschengemeinschaft weiß von Ehre, das Fleisch selbst kennt sie und besser als jene, wie Rahel erfahren hatte, als sie schmerzlos und schandenhalber in Bilha Mutter geworden war. Ihr Lächeln, da es anging, war nicht das wirre von damals, worin sich das traurige Gewissen ihres Fleisches gemalt hatte. Von Glück und Kurzsichtigkeit verklärt ruhten ihre hübschen und schönen Augen dabei in denen Jaakobs, dem sie gebären sollte in Ehren; denn diese Stunde war es gewesen, der sie entgegengeblickt in schauender Lebensbereitschaft, als einst auf dem Felde zuerst der Fremde vor ihr gestanden hatte, der Vetter aus der Fremde.
    Arme Rahel! So frohen Mutes war sie, so voll guten Willens zur Rüstigkeit beim Werk der Natur und so wenig wohl wollte ihr diese, so schwer ließ sie’s die Tapfere ankommen! War Rahel, die so redlich ungeduldig gewesen nach Mutterschaft und so überzeugt von ihrer Begabung dazu, in Wahrheit, das heißt: im Fleische, gar nicht geschaffen dafür, viel weniger als Lea, die Ungeliebte, so daß des Todes Schwert über ihr schwebte, wann sie niederkam, und schon beim zweitenmal auf sie fiel und sie erwürgte? Kann so Natur mit sich selbst im Streite liegen und so verhöhnen, was sie selbst an Wünschen und frohem Glauben ins Herz gelegt? Offenbar. Rahels Freudigkeit ward nicht angenommen und ihr Glaube Lügen gestraft, das war das Schicksal dieser Bereitwilligen. Sieben Jahre hatte sie mit Jaakob gewartet im Glauben und war dann dreizehn Jahre lang unbegreiflich enttäuscht worden. Nun aber, da die Natur ihr das Ersehnte denn endlich zugestand, tat sie’s zu so gräßlichem Preis, wie Lea, Bilha und Silpa zusammen für all ihre Mutterehren nicht hatten zahlen müssen. Sechsunddreißig Stunden, von Mitternacht zu Mittag und wieder durch eine ganze Nacht bis zum anderen Mittag, währte das Schreckenswerk, und hätte es nur noch eine Stunde oder eine halbe gewährt, so wäre der Atem ihr ausgegangen. Gleich schon zu Anfang war es dem Jaakob ein Kummer, Rahels Enttäuschung zu sehen; denn schnell, lustig und rüstig hatte sie’s abzumachen gedacht und kam nun alsbald nicht von der Stelle. Die ersten Anzeichen schienen getrogen zu haben; vielstündige Pausen unterbrachen die Vorwehen, fruchtlose Zeiträume der Leere und Stille, in denen Rahel nicht litt, aber sich schämte und langweilte. Oft sagte sie zu Lea: »Bei dir war es, Schwester, ein ander Ding!«, und diese mußte es zugeben, wobei sie Jaakob, den Herrn, mit einem Blick streifte. Dann packte Schmerzensdrang die Wöchnerin, grausamer und länger von Mal zu Mal, doch wenn er ging, so schien die harte Arbeit vergebens getan. Sie vertauschte die Ziegelsteine mit dem Bett und dieses wieder mit den Steinen. Die Stunden, die Nachtwachen, die Tageszeiten kamen und gingen; sie schämte und grämte sich ob ihrer Untüchtigkeit. Rahel schrie nicht, wenn es sie packte und überhaupt nicht mehr lassen wollte; sie biß die Zähne zusammen und werkte in stummer Redlichkeit nach ihrer besten Kraft, denn sie wollte den Herrn nicht erschrecken, dessen weiches Herz sie kannte und der ihr in den Zwischenzeiten der Ermattung mit zerrissener Seele Hände und Füße küßte. Was half

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