Joseph und seine Brüder: Vier Romane in einem Band (Fischer Klassik Plus) (German Edition)
ihr die Redlichkeit? Die ward nicht angenommen. Da es ausartete, schrie sie doch, und zwar ungeheuer wild, wie es ihr nicht zu Gesichte stand und nicht paßte zur kleinen Rahel. Denn um diese Zeit, da abermals Morgen wurde, war sie nicht bei sich und sie selber nicht mehr, und man hörte ihrem gräßlichen Brüllen wohl an, daß nicht sie es war, die schrie, denn die Stimme war völlig fremd, sondern daß die Dämonen es waren, die das Ferkelherz im Munde der Tonpuppe noch immer nicht hatte hinüberlocken können von ihr in die Puppe.
Es waren Krampfwehen, die nichts förderten, sondern die heilig Jammervolle nur in unlöslicher Höllenqual gepackt hielten, so daß die schreiende Maske ihres Antlitzes blau war und ihre Finger sich in der Luft verkrallten. Jaakob irrte durch Haus und Hof und stieß sich überall, da er die Daumen in den Ohren und die acht anderen Finger vor den Augen hatte. Er rief zu Gott – nicht länger um einen Sohn, es lag ihm nicht mehr an einem solchen, sondern daß Rahel sterben möge und friedlich daliegen, befreit von der Höllennot. Laban und Adina, da ihre Tränke, Salbungen und Streichungen nichts hatten fruchten wollen, zählten in tiefer Betretenheit Beschwörungen auf und erinnerten unter dem Schreien der Kreißenden in rhythmischen Worten Sin, den Mondgott, daran, wie er einst eine Kuh bei der Geburt unterstützt habe: so nun möge er auch lösen die Verschlingung dieser Frau und beistehen der Magd in Kindesnöten. Lea hielt sich aufrecht in einem Winkel der Wochenstube, die Arme am Körper, die Hände aus den Gelenken erhoben, und blickte schweigend mit ihren schielenden blauen Augen auf den Todes- und Lebenskampf der Liebsten Jaakobs.
Und dann kam aus Rahel ein letzter Schrei, von äußerster Dämonenwut, wie man ihn nicht zweimal ausstoßen kann, ohne des Todes zu sein, und nicht zweimal vernehmen, ohne den Verstand zu verlieren, – und Labans Weib bekam anderes zu tun, als von Sins Kuh zu rezitieren, denn ausgetreten war Jaakobs Sohn, sein elfter und erster, hervorgegangen aus dem dunkelblutigen Schoße des Lebens – Dumuzi-Absu, des Abgrundes rechter Sohn. Bilha war es, Dans und Naphtali’s Mutter, die bleich und lachend gelaufen kam auf den Hof, wohin Jaakob sinnlos gerannt war, und es mit flatternder Zunge meldete dem Herrn, daß ein Kind uns geboren, ein Sohn uns gegeben sei, und daß Rahel lebe; und er schleppte sich am ganzen Leibe zitternd zur Wöchnerin, fiel bei ihr hin und weinte. Schweißbedeckt und wie vom Tode verklärt, sang sie ein kurzatmig Lied der Erschöpfung. Zerfleischt war die Pforte ihres Leibes, sie hatte sich die Zunge zerbissen, und ihres Herzens Leben war matt bis zum Verlöschen. Das war der Lohn ihrer Freudigkeit.
Sie hatte nicht die Kraft, den Kopf nach ihm zu wenden noch auch zu lächeln, aber sie streichelte seinen Scheitel, indes er bei ihr kniete, und ließ dann die Augen seitwärts gehen nach der Hängewiege, zum Zeichen, er solle nach dem Leben des Kindes sehen und die Hand legen auf den Sohn. Das Gebadete hatte schon aufgehört zu greinen. Es schlief, in Windeln gewickelt. Es hatte glattes schwarzes Haar auf dem Köpfchen, das beim Austritt die Mutter zerrissen, lange Wimpern und winzige Händchen mit genau ausgebildeten Nägeln. Es war nicht schön zu der Zeit; wie hätte wohl mögen von Schönheit die Rede sein bei einem so kleinen Kind. Und doch sah Jaakob etwas, was er nicht gesehen bei Leas Kindern und nicht wahrgenommen bei den Kindern der Mägde, sah mit dem ersten Blick, was sein Herz, je länger er hinblickte, bis zum Überströmen mit andächtigem Entzücken füllte. Es war um dies Neugeborene, unnennbar, gleichwie ein Scheinen von Klarheit, Lieblichkeit, Ebenmaß, Sympathie und Gottesannehmlichkeit, das Jaakob, wenn nicht zu erfassen, so doch zu erkennen meinte nach seiner Bewandtnis. Er tat seine Hand auf den Knaben und sprach: »Mein Sohn.« Wie er es aber berührte, schlug es seine Augen auf, die damals blau waren und das Licht widerstrahlten der Sonne seiner Geburt in des Himmels Scheitelpunkt, und nahm mit dem winzigen, genau ausgebildeten Händchen den Finger Jaakobs. Den hielt es in zartester Umklammerung, während es weiterschlief, und auch Rahel, die Mutter, schlief einen tiefen Schlaf. Jaakob aber stand gebückt, ein hauchzart Gehaltener, und blickte in seines Söhnchens Klarheit wohl eine Stunde lang, bis es greinend nach Nahrung verlangte, da hob er’s hinüber.
Sie nannten es Joseph, auch Jaschup, das meint die
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