Joseph und seine Brüder: Vier Romane in einem Band (Fischer Klassik Plus) (German Edition)
würde sündigerweise das Böse geschehen gegen das Schicksal. Aber war dann nicht auch Sünde der Versuch, das Gute herbeizuführen gegen das Schicksal?
Laban mißbilligte solche Quengeleien. Das sei nicht wohl gedacht, sagte er, sondern schief, überfein und mäkelsüchtig. Die Zukunft sei eben die Zukunft, das heiße: sie sei noch nicht und stehe also nicht fest, aber sie werde eines Tages sein und dann so und so, sie stehe also in einer gewissen Weise fest, nämlich nach Maßgabe ihrer Eigenschaft als Zukunft, und mehr sei nicht darüber zu sagen. Ein Spruch über sie sei erhellend und lehrreich dem Herzen, und es seien die Sehepriester bestellt und bezahlt, ihn zu spenden nach jahrelanger Schulung, unter der Schirmherrschaft des Königs der vier Weltgegenden zu Babel-Sippar an beiden Seiten des Stromes, Günstlings des Schamasch und Lieblings des Mardug – Königs von Schumer und Akkad, der da wohne in einem Palaste mit klaftertiefen Unterbauten und in einem Thronsaal von unnennbarer Pracht. Darum mäkle nicht!
Jaakob schwieg schon. Gegen den Nimrod von Babel trug er eine tiefe, vom Urwanderer her vererbte Ironie im Herzen. Darum ließ es ihm den Spruch nicht heiliger erscheinen, daß Laban sich zu seinen Gunsten auf den Großmächtigen berief und darauf, daß dieser selbst nicht den Finger rührte, ohne die Sehepriester zu Rate gezogen zu haben. Laban hatte den Spruch bezahlt mit einem Schaf und allerlei Nahrung für den Mondgötzen, und schon darum mußte er an dem Erwerbe hängen. Jaakob, der nicht gezahlt hatte, verhielt sich notwendig freier dagegen; aber es freute ihn auch wieder, daß er, ohne zu zahlen, etwas zu hören bekommen hatte, und was die Zukunft betraf, so stand sie, dachte er, wenigstens in der einen Frage heute schon fest, ob Rahels Frucht ein Knabe oder ein Mädchen war. In Rahels Schoß war das ausgemacht, nur, daß man es noch nicht sah. Es gab also feststehende Zukunft, und daß Rimanni-Bels Öl auf einen Knaben gedeutet hatte, war immerhin stärkend. Im übrigen war Jaakob dankbar für praktische Anweisungen, die der Seher erteilt hatte; denn als ein rechter Priester und Hausbetreter war er zugleich der Heilkunst kundig und hatte, obgleich ohne Frage ein Widerspruch bestand zwischen diesen seinen beiden Eigenschaften (denn was vermochte die Medizin gegen die Zukunft?), für die Niederkunft nicht mit erprobten Ratschlägen gespart, in denen das Ärztlich-Rezeptmäßige und das Rituell-Beschwörerische einander zu voller Wirksamkeit ergänzten.
Die kleine Rahel hatte es nicht leicht. Lange bevor ihre Stunde kam, die dann beinahe ihr Stündlein geworden wäre, begannen die Praktiken, und sie mußte trinken, was ihr nicht schmeckte, zum Beispiel viel Öl, das das Pulver zerstoßener Schwangerschaftssteine enthielt, und viele Auflagen dulden auf ihren Körper, Salbenpakete aus Erdpech, Schweinefett, Fischen und Kräutern, ja ganze Teile von unreinen Tieren, die, wie die Salben, mit Fäden auf ihren Gliedern festgebunden wurden. Ein Sühnezicklein lag außerdem immer zu ihren Häupten, wenn sie schlief, als Ersatzopfer an ihrer Statt für die Gierigen. In ihrer Nähe bei Tag und Nacht stand eine Tonpuppe der sumpfentstiegenen Labartu, im Munde ein Ferkelherz, um die Abscheuliche aus dem Körper der Schwangeren, den sie bezogen, hinüberzulocken in ihr Bild, das man von drei zu drei Tagen mit dem Schwerte zerschlug und im Mauerwinkel vergrub, wobei man nicht hinter sich blicken durfte. Das Schwert steckte in einem feurigen Kohlenbecken, das ebenfalls, obgleich die Jahreszeit schon sehr warm war und der Tammuz-Monat sich näherte, Tag und Nacht neben Rahel stehen mußte. Ihr Bett war mit einer kleinen Mauer aus Mehlbrei umgeben, und daß drei Getreidehaufen in ihrer Kammer lagen, entsprach gleichfalls dem Rate Rimanni-Bels. Als die Vorwehen sich meldeten, beeilte man sich, die Seiten des Bettes mit Ferkelblut und die Haustür mit Gips und Asphalt zu bestreichen.
Die Geburt
Es war Sommer damals, der Monat des Herrn der Hürde, des Zerrissenen, schon einige Tage vorgeschritten. Jaakob war, seit der große Augenblick, da die Echte und Liebste ihm gebären sollte, zu erwarten stand, nicht mehr von ihrer Seite gewichen, hatte auch eigenhändig an ihrer Vorpflege teilgenommen, indem er die Salbenverbände erneuerte und einmal sogar das Labartubild zerschlagen und vergraben hatte – Maßregeln und Bräuche, die zwar nicht von dem Gott seiner Väter kamen, aber über den Götzen und seinen Seher
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