Joseph und seine Brüder: Vier Romane in einem Band (Fischer Klassik Plus) (German Edition)
nennen ließ um der Kürze willen, ergangen war. »Nennet mich Rimut, ganz bündig!« hatte der Milde gesagt. »Denn ich heiße zwar Rimanni-Bel, damit Sin sich meiner erbarme, aber ich selbst bin voller Erbarmen mit denen, die um ihrer Not und ihres Zweifels willen zu opfern wissen, darum saget einfach ›Erbarmen‹ zu meiner Anrede, die Abkürzung steht mir zu Gesichte.« Und dann hatte er sich erkundigt, was sie mitgebracht an Notwendigem, die Makellosigkeit untersucht des Darzubringenden und sie angewiesen, noch die und die Brandspezereien zu erstehen bei den Handelsständen des Haupthofes.
Ein angenehmer Mann, dieser Rimanni-Bel oder Rimut in seinen weißen Linnengewändern und seiner ebenfalls linnenen Kegelmütze, – ein Greis schon, doch ranken und nicht von Speck entstellten Leibes, mit weißem Bart, einer geröteten Knollennase und scherzhaften Äuglein, in die zu blicken erheiternd wirkte. »Wohlschaffen bin ich«, hatte er geäußert, »und ohne Tadel an Gliedern und Eingeweiden, wie das Opfertier, wenn es angenehm ist, und wie das Schaf, wenn nichts dagegen zu sagen. Ich bin eben nach Wuchs und Maßen, und weder ist gekrümmt mein Bein nach außen oder innen, noch fehlt mir auch nur ein einziger Zahn, noch muß ich mich schieläugig nennen oder hodenkrank. Nur meine Nase ist etwas rot, wie ihr seht, doch allein aus Lustigkeit und aus keiner anderen Ursache, denn ich bin nüchtern wie klares Wasser. Ich könnte nackend vor den Gott treten, wie es ehemals üblich war, so hören und lesen wir. Jetzt stehen wir vor ihm in weißem Linnen, und auch des bin ich froh, denn es ist rein und nüchtern ebenfalls und steht meiner Seele an. Ich hege keinen Neid auf meine Brüder, die Beschwörungspriester, die in rotem Untergewande und Überwurf handeln, gehüllt in Schreckensglanz, um die Dämonen in Verwirrung zu setzen, die Lauerer und das Gelichter. Auch sie sind nützlich und notwendig und ihrer Einkünfte wert, doch möchte Rimanni-Bel (das bin ich) nicht einer von ihnen sein noch der Wasch- und Salbenpriester einer, noch ein Besessener, noch auch ein Klage- und Schreipriester, noch etwa ein solcher, dessen Mannbarkeit Ischtar in Weiblichkeit verwandelt hat, so heilig es sein mag. Sie alle erwecken mir nicht eine Spur von Mißgunst, so recht ist mir meine Haut, und auch keine andere Art von Wahrsagekunst möchte ich üben als einzig und allein die ölkundige, denn das ist mit Abstand die vernünftigste, klarste und beste. Unter uns gesagt, es ist bei der Leberschau sowohl als beim Pfeilorakel viel Willkür im Spiel, und auch die Deutung von Träumen und Gliederzuckungen entbehrt nicht der Fehlerquellen, so daß ich mich im stillen oft etwas lustig darüber mache. Euch angehend, Vater, Mutter und schwangeres Kind, so habt ihr den rechten Weg eingeschlagen und geklopft an die rechte Tür. Denn mein Ahn ist Emmeduranki, der König zu Sippar war vor der Flut, der Weise und der Bewahrer, dem die großen Götter die Kunst verliehen, Öl auf Wasser zu beschauen und zu erkennen, was sein wird, nach des Öles Benehmen. In schnurgerader Linie, vom Vater auf den Sohn, leite ich von ihm meinen Ursprung her, und ist lückenlos die Überlieferung, denn immer ließ der Vater den Sohn, den er liebte, auf Tafel und Schreibstift schwören vor Schamasch und Adad und ließ ihn lernen das Werk ›Wenn der Sohn der Seher‹ bis herab zu Rimut, dem Heiteren, Tadellosen (das bin ich). Und ich erhalte von dem Schaf das Hinterteil, das Fell und einen Topf Fleischbrühe, daß ihr’s im voraus wißt; ferner die Sehnen und die Hälfte der Eingeweide nach den Tafeln und gemäß den Aufstellungen. Die Lenden, die rechte Keule und ein schönes Bratenstück erhält der Gott, und was übrig ist, danach heben wir gemeinsam die Hände beim Tempelmahl, seid ihr’s zufrieden?«
So Rimut, der Sehersohn. Und sie hatten geopfert auf dem mit Weihwasser besprengten Dach, hatten aufgetragen vier Krüge Wein und zwölf Brote sowie Mus aus Dickmilch und Honig auf den Tisch des Herrn und Salz gestreut. Dann hatten sie Feuerswürze gestreut auf den Räucherkandelabern und das Schaf geschlachtet: der Opferer hielt es, der Priester schlug’s, und dargebracht wurde das Schuldige. Wie anmutig Rimut, der Alte, in der Untadeligkeit seiner Glieder den Schlußtanz vollführt hatte vorm Altar in besonnenen Sprüngen! Laban und die Frauen wußten nicht genug Rühmens davon zu machen vor Jaakob, der ihnen schweigend lauschte, in stiller Begier nach dem Spruch und
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