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Joseph und seine Brüder: Vier Romane in einem Band (Fischer Klassik Plus) (German Edition)

Joseph und seine Brüder: Vier Romane in einem Band (Fischer Klassik Plus) (German Edition)

Titel: Joseph und seine Brüder: Vier Romane in einem Band (Fischer Klassik Plus) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Mann
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Späher und Horcher in seinem Rücken ihm das Herannahen Labans meldeten, mischte sich ein geistiges Wohlgefallen an Entsprechung und Ebenmaß. Sieben Tage, so steht es fest, brauchte Laban, den Eidam einzuholen, und dieser hatte der Reise übelsten Teil, die Wüste, schon hinter sich, war schon auf den waldigen Höhen des Gebirges Gilead angelangt, von wo er nur noch hinabzusteigen brauchte, um ins Tal des Jordan, der da ins Meer des Lot oder das Salzmeer fließt, zu gelangen –, als sein Vorsprung verbraucht war und er sich zur Begegnung und Auseinandersetzung bequemen mußte.
    Der Schauplatz, die dauernde Landschaft, Strom, Meer und Dunstgebirge, sind Zeugen und schweigend schwörende Bürgen der Geschichten, von denen Jaakobs Sinn schwer und würdig war, die sein Sinnen so scheugebietend machten und die wir umständlich, will sagen: mit ihren Umständen erzählen, wie sie ihm nachprüfbar richtig hier geschahen in standhaltender Übereinstimmung mit Berg und Tal. Hier war es, alles ist richtig und stimmt, wir selbst sind hinabgefahren, ungeheuer, in die Tiefe und haben vom Abendstrande des scheußlich schmeckenden Lotmeeres alles mit Augen gesehen, daß es in Ordnung ist und übereinstimmt mit sich selber. Ja, diese bläulichen Höhen im Morgen jenseits der Lauge sind Moab und Ammon, die Länder der Kinder Lots, der Ausgestoßenen, die seine Töchter ihm abgewonnen im Beischlaf. Dort hinten, im fernen Süden des Meers, dämmert Edomgebiet, Seïr, das Bocksland, von wo Esau verworren aufbrach, dem Bruder entgegen, und traf ihn am Jabbok. Hat es seine Richtigkeit mit den Bergen Gileads, wo Laban den Eidam einholte, und ihrem örtlichen Verhältnis zum Wasser Jabbok, an das Jaakob danach gelangte? Vollkommen. Das Gilead im Ostjordanland ließen die Leute mit seinem Namen wohl weit hinaufreichen gen Norden, bis zum Jarmukfluß, der unfern des Sees Kinnereth oder Genezareth sein reißend Wasser mit dem des Jordan vereinigt. Aber das Gebirge Gilead besonders sind jene Höhen, die sich westöstlich an beiden Ufern des Jabbok erstrecken, und von ihnen steigt man hinab zu seinen Gebüschen und zu der Furt, die Jaakob den Seinen zum Übergang wählte; er aber blieb zurück über Nacht und erlitt das einsame Abenteuer, das seinen Gang für alle Zeit etwas hinkend machte. Wie einleuchtend übrigens, daß er, da hier der Eintritt ins heiße Ghor des Stromes erfolgte, mit seinem ermatteten Anhang an Menschen und Tieren nicht erst hinabzog ins eigentlich Heimatliche, sondern gerade durchging gen Westen, ins Tal von Sichem zu Füßen Garizims und Ebals, wo er zur Ruhe zu kommen hoffte. Ja, alles stimmt nachprüfbar überein mit sich selbst und bezeugt auf die Dauer, daß kein Falsch ist in den Liedern der Hirten und ihrem Schönen Gespräch. –
    Es wird immer unklar bleiben, wie Laban, dem Erdenkloß, eigentlich zu Mute war bei seiner schnaubenden Verfolgung; denn wie er sich an ihrem Ziele benahm, das bot dem Jaakob manche recht angenehme Überraschung, und wiederum stand es, so fand er später, in schöner Entsprechung zu Esau’s unverhofftem Benehmen bei ihrer Begegnung. Ja, Labans Gemütszustand beim Aufbruch war offenbar ebenso verworren gewesen wie der des Roten. Er schnaubte und führte Waffen gegen den Ausgerückten, dann aber hieß er dessen Handlungsweise nur töricht, und bei ihrer Unterredung gestand er dem Neffen, ein Gott, der Gott seiner Schwester, habe ihn heimgesucht im Traume und ihn bedroht, er möge beileibe mit Jaakob nicht anders als freundlich reden. Das mag sein, denn es genügte dem Laban, vom Gotte Abrams und Nachors überhaupt zu wissen, um ihm ebensoviel Daseinswirklichkeit zuzuerkennen wie der Ischtar oder dem Adad, wenn er sich auch nicht zu den Seinen zählte. Ob er, der Unzugehörige, aber wirklich Jeho, den Einzigen, im Traume gesehen und gehört hatte, bleibt strittig; Lehrer und Kommentatoren haben sich befremdet darüber geäußert, und wahrscheinlicher ist, daß er gewissen Empfindungen und Furchtgedanken, die ihn auf dem Wege überkommen, Überlegungen, die er in stiller Seele angestellt, ausdrucksvollerweise den Namen eines Traumgesichtes gab, – auch Jaakob unterschied hier wenig und billigte die Redeweise. Fünfundzwanzig Jahre hatten den Laban gelehrt, daß er es mit einem Segensmanne zu tun habe, und wenn nichts begreiflicher ist, als daß er schnaubte, weil Jaakob mit seiner Person auch die Segenswirkung hinwegstahl, um derentwillen Laban so große Opfer gebracht, so versteht sich

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