Joseph und seine Brüder: Vier Romane in einem Band (Fischer Klassik Plus) (German Edition)
einmal lesen, ritt selber zum Hof, um zu bereden die Schafschur, und las aufs neue in dem schweren Gesicht. Und siehe, es war nicht mehr gegen ihn wie gestern und ehegestern, er erwiderte sein forschendes Blicken gar nicht, finster und schwer hingen seine Züge herab, und nicht ein einziges Mal erhob der Mann seine Augen zu Jaakob, sondern unter den Wülsten der Brauen gingen dieselben niedrig beiseite, wenn er das Notwendigste sprach zu dem Eidam, so daß nach der zweiten Lesung dem Jaakob klar und gewiß war: der Mann würde nicht allein glauben an das reißende Tier, sondern diesem sogar auch noch finsteren Dank wissen in seinem Herzen.
Da wußte Jaakob genug und vernahm Gottes Stimme im Traum, sobald er nur schlief, die lautete: »Mach, daß du fortkommst!« Und drängte ihn: »Pack alles auf, was du hast, lieber heut als morgen, und nimm deine Weiber und Kinder und alles, was dein geworden durch mich in all der Zeit, und zieh schwankend und schwer in die Heimat fort, in Richtung auf das Gebirge Gilead, ich will mit dir sein.«
Es war eine großzügige Weisung; die Überlegung und Anordnung im einzelnen war des Menschen Teil, und mit stiller Umsicht begann Jaakob seine Flucht aus der Unterwelt ins Werk zu setzen. Vor allem ließ er seine Frauen aufs Feld kommen, wo er hütete, Lea und Rahel, die Haustöchter, um sich mit ihnen zu verständigen und sicher zu gehen in betreff ihrer Anhänglichkeit. Denn was die Kebsen betraf, Bilha und Silpa, so kam es auf ihre Meinung nicht an, sie würden Bescheid erhalten.
»So ist es«, sagte er zu den Frauen, als sie zu dritt vorm Zelte saßen auf ihren Fersen, »so und so. Nach dem Leben trachten mir eure späten Brüder um meiner Habe willen, welche die eure ist und eurer Kinder Erbe. Lese ich aber in eures Vaters Miene, ob er mich schützen wird vor der Bösen Rat, so finde ich, daß er nicht auf mich blickt wie gestern und ehegestern, sondern überhaupt nicht; denn er läßt hängen die eine Hälfte seines Gesichtes als wie gelähmt, und die andere will auch nichts von mir wissen. Nämlich warum? Ich habe ihm gedient mit allen Kräften. Dreimal sieben und vier Jahre lang, er aber hat mich betrogen, wie er konnte, und mir den Lohn verändert, wie es ihm einfiel, unter Berufung auf die Härten des Wirtschaftslebens. Aber der Gott zu Beth-el, meines Vaters Gott, hat nicht zugelassen, daß er mir Schaden täte, sondern die Dinge zu meinen Gunsten gewandt. Und wenn es hieß: Die Sprenklichen sollen dein Lohn sein, siehe, so sprangen die Böcke, und die ganze Herde trug Sprenkliche, also daß eures Vaters Gut ihm entwandt wurde und ward mir gegeben. Darum soll ich nun sterben, und es soll heißen: Ein Löwe hat ihn zerrisssen. Der Herr zu Beth-el aber, dem ich den Stein salbte, will, daß ich lebe und sehr alt werde, darum hat er mich im Traum gewiesen, zu nehmen, was mein ist, und in der Stille fortzuziehen über das Wasser in meiner Väter Land. Ich habe geredet. Redet nun ihr!«
Da zeigte sich denn, daß die Frauen einhellig der Meinung Gottes waren – wie hätten sie einer anderen sein sollen? Armer Laban! Er hätte wohl den kürzeren gezogen, selbst wenn es etwas wie eine Entscheidung gewesen wäre, vor die sie sich gestellt sahen, was kaum der Fall war. Sie waren Jaakobs. Der Kaufpreis war gezahlt worden für sie in vierzehn Jahren. Wäre alles mit üblichen Dingen zugegangen, so hätte ihr Käufer und Herr sie längst von hinnen geführt aus ihres Vaters Haus in den Schoß seiner eigenen Sippe. Sie waren die Mütter von achten seiner Kinder geworden, ehe denn nun das Natürliche eintrat und Jaakob die Rechte geltend machte, die er seit langem erworben. Sollten sie ihn ziehen lassen mit den Söhnen und Dina, der Lea-Tochter, um ihrerseits dem Vater anzuhangen, der sie verkauft hatte? Sollte er allein fliehen mit den Reichtümern, die sein Gott ihrem Vater entwandt hatte zu ihnen und ihren Kindern? Oder sollten sie seinen Fluchtplan dem Vater, den Brüdern verraten und ihn verderben? Alles unmöglich. Eines unmöglicher als das andere. Vor allem liebten sie ihn ja, liebten ihn um die Wette seit dem Tage seiner Ankunft, und zum Wettstreit in der Hingabe war nie ein Augenblick günstiger gewesen als dieser. Darum schmiegten sie sich an ihn von beiden Seiten und sprachen gleichzeitig:
»Ich bin dein! Wie jene denkt, weiß und frage ich nicht. Ich aber bin dein, wo du auch bist und wohin du gehst. Stiehlst du dich fort, so stiehl auch mich hinweg nebst allem, was Abrahams
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