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Joseph und seine Brüder: Vier Romane in einem Band (Fischer Klassik Plus) (German Edition)

Joseph und seine Brüder: Vier Romane in einem Band (Fischer Klassik Plus) (German Edition)

Titel: Joseph und seine Brüder: Vier Romane in einem Band (Fischer Klassik Plus) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Mann
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mehr damit anzufangen, als daß man Greuliches mit seinem Namen bezeichnete, wie auch alles Greuliche, oder beinahe alles, von sich aus nach diesem Namen rief und sich in ihm erkannte. Am Verhalten Jaakobs, des Besorgten, damals, am Brunnen – neun Jahre ist es nun fast schon her –, als er dem Sohne mit Strenge die Nacktheit verwiesen hatte, mit der dieser dem schönen Monde hatte antworten wollen, – an diesem Verhalten war die leidige Verfinsterung einer Idee, die an und für sich so vergnügt war wie die Nacktheit eines Jungen am Brunnen, gut zu studieren gewesen. Entblößung im einfachen und wirklichen körperlichen Sinn war zunächst einmal völlig bedenkenfrei und so neutral wie das Himmelslicht; erst in übertragener Bedeutung, als Baalsnarrheit und als das tödlich blutssündliche Anschauen eines Nahverwandten, errötete der Begriff. Nun aber war es so, daß aus der Übertragenheit die Röte zurückschlug aufs Unschuldig-Eigentliche und dieses im Hin und Her der Wechselbeleuchtung schließlich so rot machte, daß es zum Namen werden konnte für jederlei Blutssünde, sowohl die vollzogene wie auch schon die nur in Blick und Wunsch verwirklichte, so daß denn schließlich alles Verwehrte und Fluchbedachte auf dem Felde der Sinnenlust und Fleischesvermischung, darunter aber besonders – und zwar wohl wiederum im Gedanken an Noahs Schändung – der Sohneseinbruch ins väterlich Vorbehaltene, »Entblößung« hieß. Und nicht genug damit, ereignete sich hier eine neue Gleichsetzung und namentliche Zusammenziehung, indem der Ruben-Fehltritt, des väterlichen Bettes Verletzung durch den Sohn, anfing, fürs Ganze zu stehen und alles Unerlaubte in Blickesberührung, Wunsch und Tat nicht weit davon war, der Empfindung und selbst dem Namen nach für Vaterschändung zu gelten.
    So sah es aus in Josephs Kopf – man muß es hinnehmen. Was zu tun die Sphinx des Totenlandes ihm ansann, das erschien ihm als Vaterentblößung, – und war es das nicht, wenn man bedenkt, wie Arges dem Alten daheim das Schlammland bedeutete und wie sorgenvoll es ihn entsetzt hätte, zu erfahren, daß sein Kind, statt ewig geborgen zu sein, in solcher Versuchung wandelte? Unter seinen Augen, die Joseph auf sich ruhen fühlte, braun, sorgengespannt, mit den drüsenzarten Mattheiten darunter, sollte er Entblößung begehen und sich plump vergessen, wie Ruben getan, so daß der Segen von ihm genommen war für sein Dahinschießen? Der hing über Joseph seitdem, und plump dahinschießend sollte er ihn verscherzen, indem er mit dem zweideutigen Tatzentier scherzte, wie Ruben einst mit Bilha gescherzt? Wer wundert sich, daß seine innere Antwort auf diese Frage lautete: »Um gar keinen Preis!« Wer, sagen wir, wollte sich darob verwundern, wenn er in Anschlag bringt, wie sehr zusammengesetzt und mit Identifikationen beladen der Vater-Gedanke und also auch der der Vaterkränkung dem Joseph sich darstellte? Kann selbst der Lebhafteste und in Liebesdingen Entgegenkommendste eine »Keuschheit« fabelhaft finden, die in dem durch die einfachste Gottesvorsicht gebotenen Entschluß bestand, den gröbsten und zukunftsschädlichsten Fehler zu meiden, der überhaupt zu begehen war? –
    Das waren die sieben Gründe, aus denen Joseph dem Blutsrufe seiner Herrin nicht folgen wollte, um keinen Preis. Wir haben sie beisammen nach ihrer Zahl und Wuchtigkeit und überblicken sie mit einer gewissen Beruhigung, die gleichwohl, der Feststunde nach, die wir gegenwärtig begehen, noch keineswegs am Platze ist, da Joseph noch in voller Versuchung schwebt und es, als die Geschichte ursprünglich sich selber erzählte, zu dieser Stunde durchaus noch nicht feststand, ob er heil daraus würde hervorgehen können. Es ging gerade eben noch gut mit ihm, mit einem blauen Auge kam er davon, – wir wissen es. Aber warum wagte er sich denn so weit vor? Warum setzte er sich hinweg über die wispernden Warnungen des reinen Freundchens, das die Grube schon für ihn klaffen sah, und hielt Gemeinschaft mit dem phallischen Däumling, der betörende Kuppelrede vor ihm hinschüttete aus dem Seitenbeutel? Mit einem Wort: warum mied er bei alledem die Herrin nicht lieber, sondern ließ es kommen mit ihm und ihr, wohin es bekanntlich kam? – Ja, das war Liebäugelei mit der Welt und Neugierssympathie mit dem Verbotenen; es war dazu eine gewisse Gedankenverfallenheit an seinen Todesnamen und an den göttlichen Zustand, den er in sich begriff; es war auch etwas von selbstsicherem

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