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Joseph und seine Brüder: Vier Romane in einem Band (Fischer Klassik Plus) (German Edition)

Joseph und seine Brüder: Vier Romane in einem Band (Fischer Klassik Plus) (German Edition)

Titel: Joseph und seine Brüder: Vier Romane in einem Band (Fischer Klassik Plus) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Mann
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schwach und hilflos wie ein Kind, ganz ohne Mitleid mit ihrer Würde und Sage, und hatte nachgerade begonnen, alle Welt in ihre Leidenschaft einzuweihen und in die Not, die sie mit ihrem Jüngling hatte. Es war nun an dem: nicht nur Tabubu, die Gummiesserin, und Meh-en-wesecht, die Kebse, waren eingeweiht nunmehr in ihre Liebe und ihren Jammer, sondern auch Renenutet, die Frau des Oberrindervorstehers des Amun, sowie Neit-em-hêt, die Gattin von Pharao’s Oberwäscher, und Achwêre, Gemahlin Kakabu’s, des Schreibers der Silberhäuser, vom Silberhause des Königs, kurz, alle Freundinnen, der ganze Hof, die halbe Stadt. Das war ein starkes Zeichen von Ausartung, daß sie es, als das dritte Jahr ihrer Liebe zu Ende ging, ohne Scham und Hemmung allen erzählte und alle Welt rücksichtslos damit befaßte, was sie anfangs so stolz und scheu in ihrem Busen verwahrt hatte, daß sie lieber gestorben wäre, als es dem Geliebten selbst oder sonst irgend jemandem einzugestehen. Ja, nicht nur Dûdu, der würdige Zwerg, artete aus in dieser Geschichte, sondern auch Mut, die Herrin, tat es, und zwar bis zur völligen Auflösung ihrer Fassung, ja, ihrer Gesittung. Sie war eine Heimgesuchte und tief Berührte, gänzlich aus sich herausgetreten, der Welt der Gesittung nicht mehr gehörig und ihren Maßstäben entfremdet, eine starrblickende Bergläuferin, bereit, ihre Brüste wilden Tieren zu bieten, eine wild bekränzte, keuchend jauchzende Thyrsusschwingerin. Wohin kam es nicht schließlich mit ihr? Unter uns und im voraus gesagt sogar dahin, daß sie sich herbeiließ, mit der schwarzen Tabubu zu zaubern. Aber dafür ist dies noch der Ort nicht. Hier sei nur mitleidig staunend ins Auge gefaßt, wie sie ihre Liebe und ihr ungetröstetes Begehren nach allen Seiten ausschwatzte und es nicht bei sich behalten konnte weder vor Hoch noch vor Niedrig, so daß binnen kurzem ihr Leidwesen das Tagesgespräch allen Hausgesindes war und die Köche beim Rühren und Rupfen, die Torhüter auf der Ziegelbank zueinander sagten:
    »Die Herrin ist scharf auf den Jungmeier, er aber weigert sich ihrer. Ist das eine Hetz’!«
    Denn solche Gestalt nimmt eine solche Sache in den Köpfen und im Munde der Leute an nach dem kläglichen Widerspruch, der besteht zwischen dem heilig-ernsten und schmerzensschönen Bewußtsein blinder Leidenschaft von sich selbst – und ihrem Eindruck auf Nüchterne, denen ihr Unvermögen und mangelnder Wille sich zu verhehlen ein Skandal und Gespött ist wie der Betrunkene auf der Gasse. –

Sämtliche Nacherzählungen unserer Geschichte, mit Ausnahme freilich der uns würdigsten, aber auch kargsten: der Koran sowohl wie die siebzehn persischen Lieder, die von ihr künden, Firdusi’s, des Enttäuschten, Gedicht, woran er sein Alter wandte, und Dschami’s spät-verfeinerte Fassung, – sie alle und ungezählte Schildereien des Pinsels und Stiftes wissen von der Damengesellschaft, die Potiphars Erste und Rechte um diese Zeit gab, um ihren Freundinnen, den Frauen der hohen Gesellschaft No-Amuns, ihr Leiden bekannt und begreiflich zu machen, das Mitgefühl ihrer Schwestern dafür zu gewinnen und auch ihren Neid. Denn Liebe, so ungetröstet sie sei, ist nicht nur Fluch und Geißel, sondern immer zugleich auch ein großer Schatz, den man ungern verhehlt. Die Lieder gleiten in manchen Irrtum und lassen sich manche abwegige Variante und Ausschmückung zuschulden kommen, worin die süße Schönheit, welcher sie nachhängen, zu Lasten der strengen Wahrheit geht. Den Zwischenfall der Damengesellschaft aber angehend, sind sie im Recht; und weichen sie auch hier wieder um süßen Effektes willen ab von der Form, in der die Geschichte ursprünglich sich selber erzählte, ja, strafen sie sich durch ihre Abweichungen voneinander wechselseitig Lügen, so sind doch nicht ihre Sänger die Erfinder dieses Begebnisses, sondern die Geschichte selbst ist es oder persönlich Potiphars Weib, die arme Eni, die es mit einer Schläue erfand und ins Werk setzte, welche zu ihrer benommenen Verfassung in dem sonderbarsten, aber lebensgerechtesten Widerspruch steht.
    Uns, denen der augenöffnende Traum bekannt ist, den Mut-em-enet zu Beginn der drei Liebesjahre träumte, sind die Zusammenhänge zwischen ihm und ihrer Erfindung, ist der Gedankengang, der sie auf das traurigwitzige Mittel brachte, den Freundinnen die Augen zu öffnen, vollkommen deutlich; und die Wirklichkeit des Traumes (dessen Echtheitsmerkmale denn doch wohl in die Augen springen) ist

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