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Joseph und seine Brüder: Vier Romane in einem Band (Fischer Klassik Plus) (German Edition)

Joseph und seine Brüder: Vier Romane in einem Band (Fischer Klassik Plus) (German Edition)

Titel: Joseph und seine Brüder: Vier Romane in einem Band (Fischer Klassik Plus) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Mann
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zusammenzufallen: in dieser Beziehung herrschte in Ägyptenland, das sonst die Unordnung so sehr verabscheute, fast immer Unordnung. Es kam wohl vor im Lauf der Zeiten, im Leben der Menschen und Königshäuser, daß der natürliche Neujahrstag einmal mit dem des Kalenders übereinstimmte; dann aber waren eintausendvierhundertsechzig Jahre nötig, damit dieser schöne Fall von Stimmigkeit wieder einträte, und ungefähr achtundvierzig Menschengeschlechter mußten vorüberziehen, denen nicht beschieden war, ihn zu erleben, was sie übrigens gern würden in Kauf genommen haben, wenn sie sonst keine Sorgen gehabt hätten. Auch das Jahrhundert, in dem Joseph sein ägyptisches Leben vollbrachte, war nicht berufen, diese Schönheit, die Einheit von Wirklichkeit und Amtlichkeit, zu schauen, und die Kinder Keme’s, die damals unter der Sonne weinten und lachten, wußten es nicht anders, als daß es damit nun einmal nicht stimmte – es war ihnen allen das wenigste. Auch stand es nicht so, daß man sich praktisch geradezu in der Erntejahreszeit Schemu befunden hätte, wenn man den Anfang der Überschwemmungsjahreszeit Achet, den Neujahrstag beging; aber in der Winterjahreszeit Peret, auch Zeit der Aussaat genannt, befand man sich allerdings, und wenn die Kinder Keme’s nichts dabei fanden, weil eine Unordnung, mit der es noch tausend Jahre dauern soll, als Ordnung zu gelten hat, so war es dem Joseph, kraft seiner inneren Abgesetztheit gegen die Lebensbräuche Ägyptenlandes, jedesmal etwas lächerlich dabei zu Mute, und er hielt bei dem unnatürlichen Neujahrstag nur mit, wie er mithielt bei allem Leben und Treiben derer hier unten: vorbehaltvoll und mit eben der Nachsicht, deren er sich von oben her für sein weltliches Mittun versichert hielt. Nebenbei gesagt ist es der Anerkennung wert und fast eine Sache zum Wundern, daß jemand bei so viel kritischer Abgerücktheit von der Welt, in die er versetzt ist, unter Kindern, deren ganzes Gebaren ihm im Grund eine Narrheit ist, dennoch soviel Lebensernst aufbringen mag, um unter ihnen soweit voranzukommen, wie Joseph kam, und so Dankenswertes für sie zu leisten, wie ihm bestimmt war.
    Doch ernst zu nehmen für den abgerückten Sinn oder nicht – der Tag der amtlichen Nilschwelle wurde in ganz Ägyptenland, besonders aber nun gar in Nowet-Amun, dem hunderttorigen Wêse, mit einer Festlichkeit begangen, von der man sich nur an Hand unserer größten und trubelreichsten Staats-, Volks- und Vaterlandstage eine Vorstellung macht. Vom frühesten Morgen an war die ganze Stadt auf den Beinen, und ihre riesige Menschenzahl – viel mehr als hunderttausend, bekanntlich – wurde noch gewaltig vermehrt durch den Zudrang stromauf- und -abwärts siedelnder Landleute, die einströmten, um Amuns Großen Tag am Sitze des Reichsgottes mit zu begehen, unter die Städter gemischt mit offenem Munde und auf einem Beine hüpfend zu schauen, was der Staat an majestätischen Schaustellungen bot, deren Herrlichkeit das besteuerte, befuchtelte Fronbäuerlein für die graue Notdurft eines ganzen Jahres entschädigen, es für die Fuchtelnot des neu anbrechenden vaterländisch stärken mußte, – in schwitzendem Drang, die Nasen voll vom Duft verbrannten Fettes und zu Berg gehäufter Blumen, die farbenstrahlenden, alabastergepflasterten, zeltdachüberspannten, von frommen Gesängen durchzogenen Vorhöfe der für den Volkstag mit ungeheuren Mengen von Eßwaren und Getränken verproviantierten Tempel zu füllen, dies eine Mal sich auf Kosten des Gottes, oder eigentlich der Obermächte, die sie das ganze Jahr preßten und schraubten, heute aber in verschwenderischer Güte lächelten, den Bauch voll zu schlagen und sich, wenn auch wider besseres Wissen, in der Vorstellung zu wiegen, nun werde es immer so sein, mit dieser Wende sei Jubel- und Wonnezeit, das goldne Weltalter des Freibiers und der gerösteten Gänse angebrochen, nie wieder werde der Abgabenschreiber, begleitet von Palmruten tragenden Nubiern das Fronbäuerlein heimsuchen, sondern jeden Tag werde es nun leben wie Amun-Rê's Tempel selbst, in welchem man nämlich eine trunkene Frau mit offenen Haaren sah, die ihre Tage in Festen vergeudete, weil sie den König der Götter in sich barg.
    In Wahrheit war gegen Untergang ganz Wêse so betrunken, daß es blindlings gröhlte und torkelte und viel Unfug beging. Aber für die schönen Wunder der Frühe und des Vormittags, wenn Pharao auszog, »die Würde seines Vaters zu empfangen«, wie der

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