Joseph und seine Brüder: Vier Romane in einem Band (Fischer Klassik Plus) (German Edition)
künstlich erzauberte Lust und seelenloser Wonne genieße mit seiner süßen Leiche! Laßt mir die Hoffnung in diesem Tiefstand, ihr Geister, und den allergeheimsten Hintergedanken, daß vielleicht Lust und Glück zuletzt nicht ganz genau möchten zu scheiden und auseinanderzuhalten sein und allenfalls vielleicht aus jener, wenn sie nur tief genug, dieses erblühen möchte, und unter den unwiderstehlichen Küssen der Lust schlüge der tote Knabe die Augen auf, mir den Blick seiner Seele zu schenken, so daß möglicherweise der Zauberbedingung möchte ein Schnippchen geschlagen sein! Diesen stillsten Hinterhalt laßt mir in meiner Erniedrigung, reinere Geister, zu denen ich klage, und mißgönnt mir die Hoffnung nicht auf dies Schnippchen, auf dies kleine Schnippchen nur ...«
Und Mut-em-inet hob die Arme auf und sank unter heftig-anhaltendem Schluchzen an den Hals ihrer Gesellin, der Kebse Meh, die sie vom Dache hinunterführte.
Der Neujahrstag
Die Ungeduld des Hörerkreises, zu erfahren, was jeder schon weiß, ist über alledem zweifellos auf ihren Gipfel gekommen. Die Stunde, sie zu befriedigen, ist da, – eine Haupt-Feststunde und ein Wendepunkt der Geschichte, feststehend, seit sie in die Welt kam und zuerst sich selber erzählte: die Stunde und der Tag, wo Joseph, seit drei Jahren Potiphars Hausvorsteher, seit zehn Jahren sein Eigentum, mit knapper Not den gröbsten Fehler vermied, den er hätte begehen können, und aus brennender Versuchung gerade eben noch mit einem blauen Auge davonkam, – wobei freilich sein Leben im kleineren Umlauf sich wieder einmal vollendete und es ein anderes Mal mit ihm in die Grube ging – durch eigene Schuld, wie er wohl erkannte, zur Strafe für ein Verhalten, das in seinem herausfordernden Unbedacht, um nicht zu sagen: seinem Frevelmut demjenigen seines Vorlebens nur zu ähnlich gewesen war.
Seine Schuld gegen die Frau mit seiner früheren gegen die Brüder in Parallele zu stellen, ist sehr berechtigt. Wiederum hatte er es mit seinem Wunsch, die Leute »stutzen« zu machen, zu weit getrieben, wiederum die Wirkungen seiner Liebenswürdigkeit, deren sich zu freuen und die zur größeren Ehre Gottes zu nutzen und zu befördern sein gutes Recht war, leichtsinnig ins Kraut schießen, gefährlich ausarten und sich über den Kopf wachsen lassen: im ersten Leben hatten diese Wirkungen die negative Form des Hasses angenommen, diesmal die übermäßig positive und darum auch wieder verderbliche Form der Liebesleidenschaft. Verblendet hatte er der einen wie der anderen Vorschub geleistet und, verleitet von dem, was in ihm selbst den überhandnehmenden Gefühlen der Frau entgegenkam, auch noch den Erzieher spielen wollen – er, der offenbar selbst noch so sehr der Erziehung bedurfte. Daß dies nach Strafe schrie, ist nicht zu leugnen; wobei man freilich nicht ohne stilles Schmunzeln bemerkt, wie sehr die Züchtigung, die ihn rechtens dafür ereilte, darauf eingerichtet war, ihm zu weiterem Glücke, größer und glänzender als das zerstörte, zu dienen. Was dabei den Sinn erheitert, ist der Einblick in ein oberstes Seelenleben, den der Vorgang gestattet. Die Vermutung ist alt, sie reicht in die Vorspiele und Vorbereitungsstadien der Geschichte zurück, daß die Fehlhaftigkeit des Geschöpfes jedesmal einer spitzigen Genugtuung für jene oberen Kreise gleichkommt, denen der Vorwurf »Was ist der Mensch, daß du sein gedenkst?« von jeher auf den Lippen schwebte, – während sie eine Verlegenheit bedeutet für den Schöpfer, der dann gezwungen ist, dem Reich der Strenge das Seine zu geben und strafende Gerechtigkeit walten zu lassen: spürbar weniger nach eigenem Sinn, als unter einem moralischen Drucke handelnd, dem er sich nicht gut zu entziehen vermag. Sehr anmutig lehrt nun unser Beispiel, wie es die höchste Güte und Neigung versteht, zwar diesem Drucke würdevoll nachzugeben, zugleich aber dem Reich der Pikiertheit und der Strenge auf der Nase zu spielen, indem er die Kunst übt, zu heilen, womit er schlägt, und das Unglück zum Fruchtboden erneuten Glückes zu machen.
Der Tag der Entscheidung und der Wende war der große Festtag von Amun-Rê's Besuch im Südlichen Frauenhause, der Tag des Beginnes der Nilschwelle, der amtliche ägyptische Neujahrstag. Der amtliche, wohlgemerkt; denn der natürliche, der Tag, wo wirklich der heilige Umlauf in sich selbst mündete, der Hundsstern wieder am Morgenhimmel erschien und die Wasser zu schwellen begannen, war weit entfernt, mit diesem
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