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Joseph und seine Brüder: Vier Romane in einem Band (Fischer Klassik Plus) (German Edition)

Joseph und seine Brüder: Vier Romane in einem Band (Fischer Klassik Plus) (German Edition)

Titel: Joseph und seine Brüder: Vier Romane in einem Band (Fischer Klassik Plus) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Mann
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genaueren Fassungen der Geschichte berichten es, und hier sei es als die Wahrheit bestätigt. Es ist so: Als es, all seiner Redegewandtheit zum Trotz, beinahe schon mit ihm dahingehen wollte, erschien ihm das Bild des Vaters. Also Jaakobs Bild? Gewiß, das seine. Aber es war kein Bild mit geschlossenpersönlichen Zügen, das er da oder dort gesehen hätte im Raum. Er sah es vielmehr in seinem Geiste und mit dem Geiste: Ein Denk- und Mahnbild war es, das Bild des Vaters in weiterem und allgemeinerem Verstande, – Jaakobs Züge vermischten sich darin mit Potiphars Vaterzügen, Mont-kaw, dem bescheiden Verstorbenen, ähnelte es in einem damit, und viel gewaltigere Züge noch trug es alles in allem und über diese Ähnlichkeiten hinaus. Aus Vateraugen, braun und blank, mit Drüsenzartheiten darunter, blickte es in besorgtem Spähen auf Joseph.
    Dies rettete ihn; oder vielmehr (wir wollen vernünftig urteilen und nicht einer Geistererscheinung, sondern denn doch ihm selbst das Verdienst an seiner Bewahrung zuschreiben): oder vielmehr, er rettete sich, indem sein Geist das Mahnbild hervorbrachte. Aus einer Lage, die man nur als weit vorgeschritten bezeichnen kann, und die der Niederlage sehr nahe gewesen, riß er sich los – zum unerträglichen Kummer des Weibes, wie man um gerecht verteilten Mitgefühls willen hinzufügen muß –, und es war nur ein Glück, daß seine körperliche Behendigkeit seiner Redegewandtheit gleichkam, denn so vermochte er sich eins, zwei, drei aus seiner Jacke (dem »Mantel«, dem »Obergewande«) zu winden, an der man ihn in verzweifelter Liebesnot festhalten wollte, und, wenn auch in wenig meierlicher Verfassung, das Weite, die Halle, den Gästesaal, die Vordiele dann, zu gewinnen.
    Hinter ihm raste die Liebesenttäuschung, halb selig schon – »Me’eni nachtef!« – doch unerträglich betrogen. Sie stellte Schreckliches an mit dem in ihren Händen gebliebenen, noch heißen Leibstück: Mit Küssen bedeckte sie’s, tränkt’ es mit Tränen, zerriß es mit Zähnen, trat es unter die Füße, das Verhaßte und Süße, und tat nicht viel anders damit, als die Brüder einst mit dem Schleier des Sohnes zu Dotan im Tal. »Geliebter!« rief sie. »Wohin von mir? Bleib! Oh, seliger Knabe! Oh schändlicher Knecht! Fluch dir! Tod dir! Verrat! Gewalt! Den Wüstling haltet! Den Ehrenmörder! Zu Hilfe mir! Zu Hilfe der Herrin! Ein Unhold kam über mich!«
    Da haben wir es. Ihre Gedanken – wenn man von Gedanken reden kann, wo nur ein Wirbel von Wut und Tränen war – lenkten ein in die Anklage, mit der sie den Joseph mehr als einmal bedroht, wenn sie schrecklich wurde in ihrem Verlangen und als Löwin die Tatze gegen ihn hob: die mörderische Anklage, sich ungeheuerlich vergessen zu haben gegen die Herrin. Die wilde Erinnerung stieg auf in dem Weibe, es stürzte sich auf sie, schrie sie aus allen Kräften hinaus, wie ja der Mensch hoffen mag, durch Stimmaufwand dem Unwahren Wahrheit zu verleihen, – und um gerechter Teilnahme willen wollen wir froh sein, daß dem Schmerz der Beleidigten dieser Ausweg sich auftat, ein Ausdruck sich ihm anbot, der, falsch zwar, doch an Schrecklichkeit ihm gemäß, geschaffen war, alle Welt zu entsetzten und Rache schnaubenden Verehrern ihrer Gekränktheit zu machen. Ihre Schreie gellten.
    In der Vorhalle waren schon Leute. Die Sonne ging unter, und schon war Peteprê's Personal zum größten Teil vom Fest wieder eingerückt in Hof und Haus. So war es noch gut, daß dem Flüchtigen, bevor er in die Halle hinausgelangte, etwas Raum und Zeit gegeben war, um sich zu sammeln. Die Dienerschaft stand horchend, vom Schreck gebannt, denn die Rufe der Herrin tönten heraus, und obgleich der Jungmeier gezügelten Schrittes aus dem Feiersaal trat und in beherrschter Haltung durch sie hindurchging, war es so gut wie unmöglich, daß sie seine verringerte Kleidung nicht hätten mit dem Geschrei aus dem Eigengemach in irgendwelchen Zusammenhang bringen sollen. Joseph hatte den Wunsch, sein Zimmer, das »Sondergemach des Vertrauens« zur Rechten zu gewinnen, um sich herzustellen; da aber Dienstleute im Wege standen und außerdem das Verlangen in ihm die Oberhand gewann, aus dem Hause, ins Freie zu kommen, ging er querhin und durch die offene Bronzetür hinaus auf den Hof, wo Heimkehrbewegung herrschte, denn eben langten vor dem Harem die Sänften der Kebsfrauen an, der Schnatternden, die ebenfalls unter der Aufsicht von Schreibern des Hauses der Abgeschlossenen und nubischen

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