Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Joseph und seine Brüder: Vier Romane in einem Band (Fischer Klassik Plus) (German Edition)

Joseph und seine Brüder: Vier Romane in einem Band (Fischer Klassik Plus) (German Edition)

Titel: Joseph und seine Brüder: Vier Romane in einem Band (Fischer Klassik Plus) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Mann
Vom Netzwerk:
erschlug, bedeutete eine ihm wohltuende Durchbrechung des leidigen Schemas und war eine geschichtliche Neugründung, die späteren Eliphas-Knaben zum Gleichnis werden mochte, ihn aber von der Kainsrolle wenigstens im letzten entlastete.
    So raffte Eliphas ein paar Leute zusammen, fünf oder sechs, die zu seinem Vater hielten und ihn bei seinen Ausflügen ins Edom-Land zu begleiten pflegten, bewaffnete sie aus den Beständen des Hofes mit langen Rohrlanzen, die über einem bunten Haarbüschel eine ebenfalls sehr lange, gefährliche Spitze trugen, entwandte vor Morgengrauen Kamele aus Jizchaks Ställen, und ehe der Tag sich wendete, hatte Jaakob, der, dank Rebekka’s Fürsorge, nebst zwei Sklaven ebenfalls kamelberitten und mit Mundvorrat und schönen Tauschwerten reichlich ausgestattet war, die Rächerschar auf den Fersen.
    Seiner Lebtage vergaß Jaakob nicht den Schrecken, der ihn befallen, als der Sinn dieser Annäherung ihm deutlich wurde. Anfangs, als man die Reiter gesichtet, hatte er sich geschmeichelt, Jizchak habe sein Entweichen etwas zu früh bemerkt und wolle ihn wieder einholen lassen. Als er aber Esau’s Sohn erkannt hatte, begriff er den ganzen Ernst der Lage und verzagte. Ein Rennen auf Leben und Tod begann – waagerecht vorgestreckt die Hälse der lang ausgreifenden, inbrünstig grunzenden, von Troddeln und Monden umflogenen Dromedare. Aber Eliphas und die Seinen hatten nicht so hoch aufgepackt wie Jaakob, von Augenblick zu Augenblick sah dieser den Vorsprung, an dem sein Leben hing, zusammenschmelzen, und als die ersten Wurflanzen ihn überholten, winkte er Übergabe, saß ab mit den Seinen und erwartete auf dem Angesicht, die bloßen Hände erhoben, den Verfolger.
    Was nun geschah, war das Kläglich-Ehrenrührigste, was überhaupt in Jaakobs Leben vorkam, und wäre wohl geeignet gewesen, die Würde eines anderen Selbstgefühles auf immer zu untergraben. Er mußte, wenn er leben wollte – und das wollte er um jeden Preis, nicht aus gewöhnlicher Feigheit, wie ernstlich erinnert werden soll, sondern weil er geweiht war, weil auf ihm die von Abraham kommende Verheißung lag –, er mußte den zornglühenden Knaben, seinen Neffen, den so viel Jüngeren, ihm so sehr Nachgeordneten, der bereits – und mehr als einmal – das Schwert über ihn erhob, durch Flehen zu erweichen suchen, durch Selbsterniedrigung, durch Tränen, durch Schmeicheleien, durch winselndes Anrufen seiner Großmut, durch tausend Entschuldigungen, mit einem Wort: durch den bündigen Beweis, daß es der Mühe nicht wert war, in ein solches Bündel Elend das Schwert zu stoßen. Das tat er. Er küßte des Kindes Füße wie toll, er warf ganze Hände voll Staub in die Luft, der auf sein Haupt niederfiel, und seine Zunge ging unaufhörlich, bannend, beschwörend, mit einer von der Angst aufs äußerste getriebenen Geläufigkeit, die den verblüfften, ob solchen Redeflusses, solcher Sprachgewandtheit unwillkürlich staunenden Knabensinn von raschen Taten abzuhalten bestimmt und wirklich vermögend war.
    Hatte er den Betrug gewollt? Hatte er ihn angeregt, war er seine Erfindung? Seine Därme sollten preisgegeben sein, wenn dem im entferntesten so gewesen war! Die Mutter, die Großmutter allein habe alles erdacht und gewollt, aus übergroßer und unverdienter Liebesschwäche für ihn, und er, Jaakob, habe sich aus allen Kräften gegen den Plan gesperrt und gewehrt, habe ihr vorgehalten, wie die Gefahr so groß und schrecklich sei, daß Isaak alles entdecke und nicht nur ihn verfluche, sondern auch sie, die allzu anschlägige Rebekka. Nicht zu vergessen, daß er ihr mit verzweifelter Eindringlichkeit zu bedenken gegeben habe, wie er dastehen werde vor des erstgeborenen Bruders erhabenem Antlitz, wenn etwa der Anschlag gelinge! Nicht gern, nicht froh und frech, ach, keineswegs, sondern zitternd und zagend habe er mit dem Gericht vom Böcklein und dem Wein in Esau’s Festkleid, das Fell um Handgelenke und Hals, des Vaters, des lieben Großvaters Gemach betreten. Der Schweiß sei ihm die Schenkel hinuntergelaufen vor Not und Furcht, die Stimme ihm in der verschnürten Kehle erstorben, als Isaak ihn gefragt, wer er sei, ihn betastet, berochen habe – aber sogar ihn mit Esau’s Feldblumenwohlgeruch zu salben habe Rebekka ja nicht vergessen! Ein Betrüger, er? Ein Opfer vielmehr von des Weibes List, Adam, verführt von Heva, der Schlange Freundin! Ach, Eliphas, der Knabe, möge sich hüten sein Leben lang, das mehrere hundert Jahre und länger

Weitere Kostenlose Bücher