Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Joseph und seine Brüder: Vier Romane in einem Band (Fischer Klassik Plus) (German Edition)

Joseph und seine Brüder: Vier Romane in einem Band (Fischer Klassik Plus) (German Edition)

Titel: Joseph und seine Brüder: Vier Romane in einem Band (Fischer Klassik Plus) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Mann
Vom Netzwerk:
Häuserwürfel des Dorfes drängten sich in halber Höhe des von Pfaden durchlaufenen Abhangs zusammen, und da eine Stimme von innen dem verarmten Reisenden zuredete, hier Nachtquartier zu machen, so trieb er sein über den kläglich-stürmischen Zwischenfall noch ganz erstauntes und bockiges Kamel, vor dem er sich etwas schämte, den Hügel hinan. An dem Brunnen außerhalb der lehmigen Umfassungsmauer tränkte er das Tier und wusch sich selbst die Spuren seiner Schande aus dem Gesicht, wodurch bereits seine Stimmung sich beträchtlich hob. Bei den Leuten von Luz aber Einlaß zu begehren vermied er trotzdem, da er sich als Bettler fühlte, sondern führte den lebenden Besitz, der nun sein alles war, am Zügel über die Ortschaft empor, ganz aufwärts bis zu des Hügels gestumpftem Gipfel, dessen Anblick ihm denn zu bedauern gab, daß er nicht früher, nicht rechtzeitig hierhergelangt war. Denn ein heiliger Steinkreis, ein Gilgal, kennzeichnete den Ort als Freistatt, und dem hier Fußenden hätte Jung-Eliphas, der Straßenräuber, nichts anzuhaben vermocht.
    In der Mitte des Gilgals war ein besonderer Stein, kohlschwarz und kegelförmig, aufgerichtet, ein offenbar vom Himmel gefallener, in dem Sternenkräfte schlummerten. Da seine Form an das Zeugungsglied gemahnte, hob Jaakob fromm seine Augen und Hände empor und fühlte sich noch gestärkter. Hier wollte er die Nacht verbringen, bis der Tag sie wieder verbarg. Zur Kopfstütze wählte er einen der Steinklötze des Kreises aus. Komm, sprach er, tröstlicher alter Stein, erhebe dem Friedlosen das Haupt zur Nacht! Er deckte sein Kopftuch darüber, streckte sich aus, das Haupt gegen den phallischen Himmelsstämmling erhoben, blinzelte noch ein wenig in die Sterne und entschlief.
    Da ging es hoch her, da geschah es ihm, da ward ihm wirklich, wohl mitten in der Nacht, nach einigen Stunden des tiefsten Schlafes, das Haupt erhoben aus jeder Schmach zum hehrsten Gesicht, in welchem sich alles vereinigte, was seine Seele an Vorstellungen des Königlichen und Göttlichen barg und das sie, die gedemütigte, die insgeheim ihrer Demütigung lächelte, sich zu Trost und Befestigung hinausbaute in den Raum ihres Traumes ... Er träumte sich nicht von der Stelle. Auch im Traume lag er mit gestütztem Kopfe und schlief. Aber seine Lider waren durchlässig für überschwenglichen Glanz; er sah durch sie, sah Babel, sah das Nabelband von Himmel und Erde, die Treppe zum höchsten Palast, die zahllos feurigen und breiten, mit astralen Wächtern besetzten Stufen, deren ungeheure Rampe emporführte zum obersten Tempel und Herrschersitz. Sie waren nicht steinern noch hölzern, noch sonst aus irdischem Stoff; sie schienen aus glühendem Erz und aus gebautem Sternenfeuer; ihr Planetenglanz verlor sich in maßloser Breite auf Erden und steigerte sich in der Höhe und Weite zu übermächtiger Blendung, die dem offenen Auge unerträglich gewesen wäre und in die nur durch die deckenden Lider zu schauen war. Gefiederte Menschentiere, Cheruben, gekrönte Kühe mit den Gesichtern von Jungfrauen und mit anliegenden Fittichen standen unbeweglich geradeaus blickend zu beiden Seiten, und der Raum zwischen ihren schräg vor- und zurückgestellten Beinen war mit erzenen Flächen gefüllt, in welchen heilige Wortmale glühten. Kauernde Stiergötter, Perlenbänder um die Stirn, mit Ohrlocken, so lang wie die fransenförmigen und unten gerollten Bärte, die von ihren Wangen hingen, wandten die Köpfe nach außen und blickten den Schläfer aus langbewimperten ruhevollen Augen an, – abwechselnd mit Löwenwesen, die auf ihren Schwänzen saßen und deren gewölbte Brust mit feurigen Zotten bedeckt war. Sie schienen aus viereckig aufgerissenen Mäulern zu fauchen, so daß unter ihren grimmigen Stutznasen sich die Schnurrhaare sträubten. Zwischen den Tieren aber wallte die Rampenweite von Dienenden und Boten, hinauf und hinab ziehend in Schritt und Stufentritt, nach langsamer Reigenordnung, die in sich trug das Glück des Sternengesetzes. Ihre Unterkörper waren von Kleidern verhüllt, die mit spitzen Schriftzeichen bedeckt waren, und ihre Brüste schienen zu weich für die von Jünglingen und zu flach für Weiberbrüste. Sie trugen Schalen auf dem Kopf mit erhobenen Armen, oder es lehnte in ihrem gebogenen Arm eine Tafel, auf die sie weisend die Finger legten; viele aber harften und flöteten, schlugen Lauten und Pauken, und Singende hielten sich hinter diesen, die den Raum mit ihren hohen, metallisch

Weitere Kostenlose Bücher