Joseph und seine Brüder: Vier Romane in einem Band (Fischer Klassik Plus) (German Edition)
Augen zu betrachten sind, als Irrungen, bei denen eine Frau im Spiele ist, und die also eine diskrete Beurteilung erfordern.«
Er rollte den Brief wieder halb auf und blickte hinein.
»Hier handelt es sich«, sagte er, »wie ich sehe, um eine Weibergeschichte, und ich müßte nicht Offizier und ein Zögling der königlichen Stallungen sein, wenn ich einen solchen Handel mit ehrlosen Pöbeltaten wollte zusammenwerfen. Es ist zwar ein Zeichen kindischen Tiefstandes, nicht zwischen Redensart und Wirklichkeit zu unterscheiden und alles wörtlich zu nehmen, aber eine solche Verwechslung ist dann und wann auch unter Besseren unvermeidlich; denn ob es allerdings auch heißt, daß man sich in fremdem Hause nicht nach den Weibern umsehen soll, weil das gefährlich sei, so tut man es eben doch, weil die Weisheit eines ist und das Leben ein anderes; und gerade die Gefährlichkeit bringt ein Element des Ehrenhaften in die Affaire. Auch gehören zu einem Liebeshandel ja zwei, was immer die Schuldfrage ein wenig undurchsichtig macht, und wenn sie sich nach außen hin auch als klar gelöst darstellt, weil nämlich der eine Teil, natürlich der Mann, die ganze Schuld auf sich nimmt, so mag es auch da wieder ratsam sein, zwischen Redeweise und Wirklichkeit im Stillen zu unterscheiden. Wenn ich von Verführung höre des Weibes durch den Mann, so schmunzle ich vor mich hin, denn es kommt mir drollig vor, und ich denke bei mir: ›Du große Dreiheit! Weiß man ja doch, wessen Auftrag und Kunst die Verführung war seit den Tagen des Gottes – nicht gerade die von uns Dummköpfen.‹ – Kennst du die Geschichte von den zwei Brüdern?« wandte er sich geradezu an Joseph, mit runden braunen Augen zu ihm aufblickend, denn er war bedeutend kleiner als jener und dicklich. Auch seine dichten Brauen zog er so hoch wie möglich empor, als ob das hülfe, einen Ausgleich zu schaffen.
»Ich kenne sie wohl, mein Hauptmann«, antwortete der Gefragte. »Nicht nur, daß ich sie meinem Herrn, Pharao’s Freunde öfters vorlesen mußte – ich hatte sie auch für ihn abzuschreiben in Schönschrift, mit schwarzer und roter Tinte.«
»Die wird noch oft abgeschrieben werden«, sagte der Kommandant, »es ist eine vorzügliche Fiktion und ist ein Muster, nicht nur ihrem Vortrage nach, der überzeugt, obgleich die Geschehnisse bei ruhiger Überlegung teilweise unglaubwürdig sind, wie zum Beispiel der Vorgang, daß die Königin schwanger wird durch einen Splitter, der ihr in den Mund fliegt, vom Holz des Perseabaums, was garzu sehr der ärztlichen Erfahrung widerstreitet, um ohne weiteres hingenommen zu werden. Trotzdem aber ist die Geschichte musterhaft und gleich einer Gußform des Lebens, so, wenn das Weib des Anup sich an den Jüngling Bata lehnt, da sie ihn stark erfunden, und zu ihm spricht: ›Komm, laß uns eine Weile Freude an einander haben! Ich will dir auch zwei Festkleider machen‹, und wenn Bata dem Bruder zuruft: ›Weh mir, sie hat alles verdreht!‹ und sich vor seinen Augen mit dem Blatte des Schwertschilfs die Mannheit abschneidet und sie den Fischen zum Fraße gibt – das ist ergreifend. Später arten die behaupteten Vorgänge ins Unglaubwürdige aus, aber erhebend ist’s doch, wenn Bata sich in den Chapi-Stier verwandelt und spricht: ›Ich werde ein Wunder an Chapi sein, und das ganze Land wird jauchzen über mich‹, und sich zu erkennen gibt und spricht: ›Ich bin Bata! Siehe, ich lebe noch und bin Gottes heiliger Stier.‹ Das sind freilich krause Erfindungen; aber in wie seltsame Gußformen vorschaffender Einbildung ergießt sich nicht manchmal das bewegliche Leben!«
Er schwieg eine Weile und blickte mit seinem ruhigen Angesicht, den kleinen Mund leicht geöffnet, aufmerksam ins Leere. Dann las er wieder ein wenig im Briefe.
»Ihr könnt Euch denken, Vater«, sagte er, den Kopf erhebend, zum Blankschädel, »daß ein Zugang wie dieser eine gewissermaßen belebende Abwechslung für mich bedeutet in dem Einerlei dieses festen Platzes, an dem ein schon von Hause aus ruhiger Mann geradezu Gefahr läuft, in Schläfrigkeit zu verfallen. Was gewöhnlich vor mich gebracht wird, entweder schon abgeurteilt oder zu vorläufiger Verwahrung, solange die Waage des Rechts noch schwankt und ihr Prozeß noch anhängig ist, allerlei Gräberdiebe, Buschklepper und Beutelschneider, das ist nicht danach angetan, dieser Gefahr zu steuern. Ein Fall, wo das Vergehen auf dem Gebiete der Liebe liegt, hebt sich entschieden anregend daraus hervor.
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