Joseph und seine Brüder: Vier Romane in einem Band (Fischer Klassik Plus) (German Edition)
Neben-Bestandteil seiner Weisheit und Kunst, er wußte um alle Schlösser und Schlüssel zum Tempel des Thot. Ein Heilkundiger war er zumal und Adept der Natur, ein Kenner des Festen und Flüssigen, von lindernder Hand und allen, die sich wälzen, ein Ruhespender. Denn er selbst muß sehr ruhig gewesen sein und nicht gemacht, zu erschrecken. Dazu aber war er ein Rohr in der Hand Gottes, ein Weisheitsschreiber – dies beides vereint, nicht heute ein Arzt und Schreiber ein andermal, sondern dieses in jenem und eines zugleich mit dem anderen, worauf man den Ton legen muß, denn meiner Meinung nach ist es von vorzüglichem Wert. Heilkunde und Schreibtum borgen mit Vorteil ihr Licht voneinander, und gehen sie Hand in Hand, geht jedes besser. Ein Arzt, von Schreibweisheit beseelt, wird ein klügerer Tröster sein den sich Wälzenden; ein Schreiber aber, der sich auf des Körpers Leben und Leiden versteht, auf die Säfte und Kräfte, die Gifte und Gaben, wird viel voraushaben vor dem, der davon nichts weiß. Imhotep, der Weise, war solch ein Arzt und ein solcher Schreiber. Ein göttlicher Mann; man sollte ihm Weihrauch anzünden. Ich glaube, ist er erst noch etwas länger tot, so wird man es tun. – Allerdings lebte er auch in Menfe, einer sehr anregenden Stadt.«
»Du darfst dich nicht schämen vor ihm, Hauptmann«, antwortete der Oberpriester, zu dem er geredet hatte. »Denn unbeschadet des Truppendienstes pflegst du der Heilkunde auch, tust wohl denen, die sich winden und wälzen, und schreibst außerdem sehr gewinnend nach Form und Inhalt, indem du all diese Sparten in Ruhe vereinigst.«
»Die Ruhe allein tut’s nicht«, antwortete Mai-Sachme, und die Gelassenheit seines Gesichtes mit den runden, klugen Augen fiel etwas in’s Traurige. »Vielleicht wäre mir einmal der Blitz des Erschreckens not. Doch woher sollte der hier wohl kommen? – Und ihr?« sprach er auf einmal mit erhobenen Brauen und kopfschüttelnd zu den beiden Haussklaven Peteprê's hinüber, die die Enden von Josephs Fesseln hielten.
»Was treibt ihr da? Wollt ihr pflügen mit ihm oder Pferdchen spielen wie kleine Jungen? Euer Vorsteher soll hier wohl Fronarbeit tun, wenn ihm die Glieder verschnürt sind wie einem Schlachtochsen? Bindet ihn los, Dummköpfe! Hier wird hart gearbeitet für Pharao, in dem Steinbruch oder am Neubau, und nicht gefesselt herumgelegen. Was für ein Unverstand! – Diese Leute«, wandte er sich wieder erläuternd an den Gottespfleger, »leben nun einmal in der Vorstellung, daß ein Gefängnis ein Ort ist, wo man in Fesseln herumliegt. Sie nehmen alles wörtlich, das ist ihre Art, und halten sich an die Redensart, wie die Kinder. Heißt es von Einem, daß man ihn ins Gefängnis legt, da des Königs Gefangene innen liegen, so glauben sie fest, er plumpse wirklich in irgend ein Loch voll gieriger Ratten und Kettengerassel, wo man liegt und dem Rê die Tage stiehlt. Solche Verwechslung von Ausdrucksweise und Wirklichkeit ist meiner Wahrnehmung nach ein Hauptmerkmal der Unbildung und des Tiefstandes. Ich habe sie oft gefunden bei Gummiessern des elenden Kusch und auch bei den Bäuerlein unserer Fluren, doch nicht so wohl in den Städten. Unleugbar ist eine gewisse Poesie bei diesem Wörtlichnehmen der Rede, die Poesie der Einfalt und des Märchens. Es gibt, soviel ich sehe, zwei Arten von Poesie: eine aus Volkseinfalt und eine aus dem Geiste des Schreibtums. Diese ist unzweifelhaft die höhere, aber es ist meine Meinung, daß sie nicht ohne freundlichen Zusammenhang mit jener bestehen kann und sie als Fruchtboden braucht, so wie alle Schönheit des oberen Lebens und die Pracht Pharao’s selbst die Krume des breiten, bedürftigen Lebens braucht, um darüber zu blühen und der Welt ein Staunen zu sein.«
»Als Zögling des Bücherhauses«, sagte Cha’ma’t, der Schreiber des Schenktisches, der sich unterdessen beeilt hatte, dem Joseph eigenhändig die Ellbogen zu befreien, »habe ich keineswegs Teil an der Verwechslung von Redeweise und Wirklichkeit, und nur der Form wegen, für den Augenblick, glaubte ich dir, Hauptmann, den Häftling in der Fessel überliefern zu sollen. Er selbst mag mir bestätigen, daß ich ihm schon während des größten Teiles der Reise den Strick erspart habe.«
»Das war nicht mehr als verständig gehandelt«, erwiderte Mai-Sachme, »zumal Unterschiede bestehen zwischen den Missetaten, und Mord, Diebstahl, Grenzfrevel, Verweigerung der Steuern oder ihr Unterschleif durch den Einnehmer mit anderen
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