Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Joseph und seine Brüder: Vier Romane in einem Band (Fischer Klassik Plus) (German Edition)

Joseph und seine Brüder: Vier Romane in einem Band (Fischer Klassik Plus) (German Edition)

Titel: Joseph und seine Brüder: Vier Romane in einem Band (Fischer Klassik Plus) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Mann
Vom Netzwerk:
habe alle Gefangenen des Gefängnisses unter Josephs Hand gegeben, sodaß alles, was da geschah, durch diesen habe geschehen müssen, ist so zu verstehen, daß Potiphars ehemaliger Hausmeier schon bald, etwa ein halbes Jahr nach seiner Einlieferung, wie von selbst und ohne daß eine besondere Ernennung erfolgt wäre, zum Herrn des Überblicks in der Kanzlei und zum Nährvater der ganzen Festung aufwuchs, indem alle Schreibereien und Verrechnungen, deren es, wie überall im Lande, auch hier unendlich viele gab, über die Einkäufe an Korn, Öl, Gerste und Schlachtvieh und ihre Verteilung an die Wacht- und Zucht-Mannschaft, über den Brauereiund Bäckerei-Betrieb von Zawi-Rê, sogar über die Einnahmen und Ausgaben des Wepwawet-Tempels, über die Ablieferung behauener Steine und so fort, zur Erleichterung derer, die sich bisher dieser Dinge anzunehmen gehabt hatten, durch seine Hände gingen und er einzig dem Platzkommandanten Rechenschaft dafür schuldete, diesem ruhigen Mann, zu dem sein Verhältnis sich von vornherein freundlich angelassen hatte und mit der Zeit das angenehmste wurde.
    Denn Mai-Sachme fand das Wort bestätigt, mit dem Joseph ihm geantwortet hatte beim ersten Verhör, das ur-dramatische Wort des Sich-zu-erkennen-gebens, das ihn in seiner Ruhe getroffen und ihn ganz ausnahmsweise, in einem sehr weiten und ungenauen Sinn hatte erschrecken lassen, sodaß er selbst gefühlt hatte, daß er um die Nasenspitze herum etwas blaß geworden war; und für dieses Erschrecken war der Hauptmann demjenigen gewissermaßen dankbar, der ihm dazu verholfen hatte; denn auf ihrem Grunde verlangte seine Ruhe nach dem Erschrecken, dessen seine kluge Bescheidenheit nicht gewürdigt zu sein glaubte, und wartete darauf, wie er auf das Wiedererscheinen des Mädchens Nechbet in ihrer Enkelin und auf sein drittes Ergriffenwerden von ihr wartete. Weit von Sinn und ungenau war auch sein Gefühl für die Wahrheit des Wortes, mit dem Joseph sich ihm zu erkennen gegeben, und was unter dem »es« zu verstehen war in der stets erschreckenden Formel »Ich bin’s«, das hätte er nicht zu sagen gewußt, gelangte aber nicht einmal zur Wahrnehmung davon, daß er es nicht zu sagen gewußt hätte, da er fern davon war, eine Rechenschaftslegung darüber für notwendig oder wünschbar zu halten. Das ist der Unterschied zwischen seinen Verpflichtungen und unseren. Mai-Sachme, zu seiner frühen, wenn auch wieder schon sehr späten Zeit, war solcher Rechenschaft gänzlich entbunden und durfte sich in aller Ruhe, wenn auch mit angemessenem Erschrecken, darauf beschränken, zu ahnen und zu glauben. Die Ur-Kunde drückt es so aus, daß der Herr seine Huld zu Joseph geneigt und ihn Gnade habe finden lassen vor dem Amtmann über das Gefängnis. Dies »und« könnte so ausgelegt werden, als habe die Huld, die Gott dem Sohne Rahels erwies, eben darin bestanden, daß sein Fronherr ein gnädig Herz für ihn faßte. Das hieße Huld und Gnade in kein ganz richtiges Verhältnis setzen. Es war nicht so, daß Gott dem Joseph die Huld erwiesen habe, den Hauptmann günstig für ihn zu bestimmen; sondern die Sympathie und das Vertrauen, mit einem Wort: der Glaube, den Josephs Erscheinung und Wandel jenem einflößten, ging vielmehr aus dem untrüglichen Gefühl eines guten Mannes für die göttliche Huld, das heißt: für das Göttliche selbst hervor, das mit diesem Züchtling war, – wie es ja die Art und geradezu das Kennzeichen des guten Menschen ist, das Göttliche mit kluger Andacht wahrzunehmen, ein Sachverhalt, der Güte und Klugheit nahe zusammenführt, ja, eigentlich als dasselbe erscheinen läßt.
    Wofür hielt also Mai-Sachme den Joseph? Für etwas Rechtes, für den Rechten, für den Erwarteten; für den Bringer einer neuen Zeit – in dem bescheidenen Sinne zunächst nur, daß dieser aus interessanten Gründen hierher Verbannte dem langweiligen Ort, wo dem Hauptmann seit Jahr und Tag und wer weiß, wie lange noch, Dienst zu tun beschieden war, eine gewisse Unterbrechung der herrschenden Langenweile brachte; daß aber der Befehlshaber von Zawi-Rê die Verwechslung von Redensart und Wirklichkeit so scharf verurteilte und als tiefstehend verwarf, mochte gerade daher kommen, daß er selbst in dieser Verwechslung stark befangen war und, wenn er nicht sehr scharf achtgab, zwischen dem Metaphorischen und Eigentlichen schlecht unterschied. Anders gesagt: Schon leise Andeutungen, Erinnerungen und Hinweise in den Zügen einer Erscheinung genügten ihm, die

Weitere Kostenlose Bücher