Joseph und seine Brüder: Vier Romane in einem Band (Fischer Klassik Plus) (German Edition)
Mäuse, deren es fast ebenso viele gab wie Flöhe. Seine ruhige Überlegung war gewesen, daß die Mäuse die Katze selbst zu riechen glauben und, dadurch erschreckt, von den Vorräten ablassen würden, was sich auch bewährte.
Der Revierverschlag der Festung war immer reichlich mit Beschädigten und Kranken belegt, denn die Fron in dem fünf Meilen vom Flusse landeinwärts gelegenen Steinbruch war hart, wie Joseph bald belehrt wurde, da er wiederholt einige Wochen dort draußen zu verbringen und über eine Abteilung von Soldaten und Sträflingen beim Hacken, Sprengen, Behauen und Schleppen die Aufsicht zu üben hatte. Denn die einen hatten es nicht besser als die anderen, und die Besatzung von Zawi-Rê, Landeskinder und Fremdstämmige, wurde, soweit sie nicht eben Wachtdienst tat, auch zu nichts anderem verwendet als die Sträflinge und spürte den antreibenden Stock dabei wie sie. Allenfalls wurden Verletzungen, Erschöpfung und das Zurücktreten des Schweißes bei ihnen etwas bereitwilliger anerkannt und ihre Zurückführung ins Festungsspital ein wenig früher verfügt als bei den Verurteilten, die es bis zum Äußersten, das heißt bis zum Umfallen weiterzutreiben hatten und zwar bis zum dritten Umfallen, denn das erste und zweite Mal galt grundsätzlich als Verstellung.
Übrigens trat in dieser Beziehung unter Josephs Aufseherschaft eine Milderung ein – zuerst nur bei seinem Zuge. Später aber, als sich das Wort erfüllt hatte, daß der Amtmann alle Gefangenen im Gefängnis unter seine Hand befahl und er, wenn er hinauskam in den Bruch, bereits als eine Art von Ober-Inspizient und unmittelbarer Vertreter des Kommandanten erschien, wurde die Milderung allgemein. Denn Joseph gedachte Jaakobs, seines fernen Vaters, dem er gestorben war: wie der das ägyptische Diensthaus immer mißbilligt hatte, und führte ein, daß ein Mann schon nach dem zweiten Umfallen ausgereiht und auf die Insel zurückgebracht wurde; denn daß das erste nur für Verstellung galt, dabei blieb es, es sei denn, daß gleich der Tod eingetreten war.
Der Lazarettschuppen denn also wurde nicht leer von Solchen, die sich wanden und wälzten: sei es, daß ein Mann einen Knochen gebrochen hatte oder »nicht mehr auf seinen Bauch hinuntersehen konnte«, oder daß sein Leib mit geschwollenen Fliegen- und Mückenstichen bedeckt war wie mit Aussatzbeulen, oder daß ihm der Magen, wenn man den Finger darauf legte, hin und her ging wie das Öl in einem Schlauch, oder daß der Steinstaub eine eitrige Entzündung seiner Augen hervorgerufen hatte; und all dieser Fälle nahm der Hauptmann sich an, indem er vor keinem erschrak und für einen jeden, wenn es nicht der Tod selber war, der ihm entgegentrat, ein Hilfsmittel wußte. Die gebrochenen Knochen schiente er mit Brettchen, der Unfähigkeit des Menschen, auf seinen Bauch hinunterzusehen, suchte er mit Umschlägen von mildem Brei zu steuern, den Stichaussatz bestrich er mit Gänsefett, in das wohltätiges Pflanzenpulver gemischt war, gegen das üble Hin- und Herwandern des Magens verordnete er das Zerkauen von Beeren der Rizinusstaude mit Bier, und für die vielen Augenerkrankungen besaß er eine gute Salbe aus Byblos. Auch einige Zauberei war dabei, zur Unterstützung der Heilmittel und zur Bedrängung des eingeschlüpften Dämons, wohl immer im Spiele; sie bestand aber nicht so sehr in Sprüchen und in der Berührung mit der erstarrten Brillenschlange, als in der persönlichen Ausströmung Mai-Sachme’s, die eine Ausströmung der Ruhe war und sich aufseiten des Kranken in Beruhigung verwandelte, sodaß er nicht mehr vor seiner Krankheit erschrak, was nur schädlich war, sondern aufhörte sich zu wälzen und unwillkürlich des Hauptmanns eigenen Gesichtsausdruck annahm: die gerundeten Lippen leicht geöffnet und die Brauen in klugem Gleichmut emporgezogen. So lagen die Kranken und sahen, mit Ruhe ausgestattet, ihrer Genesung oder dem Tode entgegen; denn auch vor diesem lehrte sie Mai-Sachme’s Einfluß nicht zu erschrecken, und selbst wenn schon Leichenfarbe eines Mannes Gesicht bedeckte, ahmte er noch, bei befriedeten Händen, die gelassene Miene des Arztes nach und blickte ruhigen Mundes, unter verständig erhobenen Brauen, dem Leben nach dem Leben entgegen.
So war es ein von Ruhe und Nicht-Erschrecken durchdrungenes Lazarett, in dem Joseph dem Amtmann manchmal zur Seite und auch zur Hand ging; denn von der Aufsicht im Bruch rief dieser ihn bald zurück in den inneren Dienst, und die Redeweise, er
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