Joseph und seine Brüder: Vier Romane in einem Band (Fischer Klassik Plus) (German Edition)
eben ein Bubengesicht mit Bart und Runzeln ist, sonst aber nichts Neues aufgenommen hat.
Das erste, was Jaakob von Esau vernahm, war dessen Flötenspiel, das ihm von früh her bekannte, hoch-hohle Geträller auf einem Gebinde verschieden langer Rohrpfeifen, die in einer Reihe von Querbändern zusammengehalten waren, – einem bei den Seïr-Gebirglern beliebten und vielleicht von ihnen erfundenen Instrument, das Esau früh von ihnen übernommen hatte und worauf er mit seinen wulstigen Lippen recht kunstreich zu musizieren verstand. Dem Jaakob war die blöde und wüste Idyllik dieses Getöns, das unverantwortliche, im unterweltlichen Südlande beheimatete Tu-rü-li, von jeher verhaßt gewesen, und Verachtung stieg in ihm auf, als es ihm wieder zu Ohren kam. Überdies tanzte Esau. Sein Pfeifenspiel am Munde, den Schießbogen auf dem Rücken und einen Fetzen Ziegenfells um die Lenden, sonst aber ohne Kleider, deren er wirklich auch nicht bedurfte, da er so behaart war, daß ihm das Vlies in grau-roten Zotteln buchstäblich von den Schultern hing, tanzte und sprang er mit seinen spitzen Ohren und seiner platt auf der nackten Oberlippe liegenden Nase über das offene Land hin zu Fuß vor Troß und Mannschaft dem Bruder entgegen, blasend, winkend, lachend und weinend, so daß Jaakob, in Geringschätzung, Scham, Erbarmen und Abneigung, bei sich etwas dachte wie »Allmächtiger Gott!«
Übrigens stieg auch er von seinem Tier, um, so schnell seine geschwollene Hüfte es ihm erlaubte, gerafften Kleides und eifrig sich hinschleppend, auf den musikalischen Bock zuzueilen und schon unterwegs alle Bekundungen der Unterordnung und Selbsterniedrigung zu vollziehen, die er sich vorgesetzt und die er sich nach dem nächtlichen Siege ohne wirkliche Verletzung seines Selbstgefühls leisten konnte. Wohl siebenmal, trotz seiner Schmerzen, warf er sich nieder, indem er die flachen Hände über das gebeugte Haupt erhob, und landete auch so zu Esau’s Füßen, auf die er seine Stirne preßte, während seine Hände auf den von Zotteln überhangenen Knien des Bruders emportasteten und sein Mund immerfort die Worte wiederholte, die das Verhältnis trotz Segen und Fluch zu Esau’s unbedingten Gunsten kennzeichnen und ihn entwaffnen, versöhnen sollten: »Mein Herr! Dein Knecht!« Aber nicht nur versöhnlich verhielt sich Esau, sondern zärtlich über alles Erwarten und auch wohl über sein eigenes; denn sein Zustand nach Empfang der Nachricht von des Bruders Heimkehr war eine allgemeine und undeutliche Aufregung gewesen, die sich noch kurz vor dem Zusammentreffen ganz leicht ins Wütende statt ins Gerührte hätte wenden können. Gewaltsam hob er Jaakob vom Staube auf, drückte ihn mit geräuschvollem Schluchzen an seine pelzige Brust und küßte ihn schmatzend auf Wange und Mund, so daß es dem also Geherzten bald zuviel wurde. Dennoch weinte auch dieser, – teils weil die Spannung der Ungewißheit und Furcht in ihm sich löste, teils auch aus nervöser Weichheit und ganz allgemein über Zeit und Leben und Menschenschicksal. »Bruderherz, Bruderherz«, lallte Esau zwischen den Küssen. »Alles vergessen! Alle Schurkerei soll vergessen sein« – eine peinlich ausdrückliche Hochherzigkeit, eher danach angetan, Jaakobs Tränen sofort zu stillen, als sie inniger fließen zu lassen –, und danach begann er zu fragen, wobei er die Frage, die ihm eigentlich am Herzen lag: wie es nämlich mit den vorangetriebenen Herden gemeint sei, noch zurückstellte und sich zuerst mit hohen Augenbrauen nach den Frauen und Kindern auf den Kamelen hinter Jaakob erkundigte. So wurde denn abgestiegen und vorgestellt: zuerst neigten die Kebsweiber mit ihren vieren sich vor dem Zottelmann, dann Lea mit ihren sechsen, endlich auch die süßäugige Rahel mit Joseph, die man von hinten herbeiholte, und Esau tat bei jeder Namensnennung einen Wulstlippenrutsch auf seinem Flötengebinde, pries die Wohlschaffenheit der Kinder und die Brüste der Weiber und bot Lea, über deren Blödgesichtigkeit er sich laut verwunderte, einen edomitischen Kräuterbalsam für ihre wie immer entzündeten Augen an, wofür sie wütenden Herzens dankte, indem sie ihm die Zehenspitzen küßte.
Schon die äußere Verständigung zwischen den Brüdern bot Schwierigkeiten. Beide suchten im Gespräch nach den Worten ihrer Kindheit und fanden sie nur mühsam; denn Esau redete den rauhen Dialekt der Seïr-Leute, der sich von dem in der Landschaft ihrer Kindheit gesprochenen durch sinaiwüstenhafte
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