Joseph und seine Brüder: Vier Romane in einem Band (Fischer Klassik Plus) (German Edition)
geschehen war, und daß sie sein Herz ausnutzte als eine Frau, die das Weltganze ausschließlich unter dem staatsklugen Gesichtswinkel sah und nicht, wie er, vor allem unter dem religiösen. Das kränkte Meni und tat ihm weh. Er verließ die Mutter, bedeutet von ihr, wenn er wirklich sein Kuh- und Ährengesicht für staatswichtig halte, so möge er sich damit während der Morgenaudienz an Ptachemheb, den Wesir des Südens, wenden. Im Übrigen fehle es nicht an Traumdeutern hier am Ort.
Nach den Traumgelehrten hatte er längst geschickt und erwartete sie mit Ungeduld. Doch ging ihrem Empfange derjenige des großen Beamten voran, der kam, um Pharao’s Angelegenheiten des »Roten Hauses«, das heißt des Schatzhauses von Unter-Ägypten, vorzutragen, aber schon nach dem Begrüßungshymnus unterbrochen wurde, um die mit nervös gequälter Stimme und mit stockend suchenden Worten vorgetragene Erzählung der Träume zu vernehmen, nebst der Aufforderung, sich über zwei Fragen zu äußern: Erstens, ob auch er, wie sein Herr, sie für reichswichtig halte, und zweitens, bejahenden Falles, in welcher Beziehung und Hinsicht. Er hatte sich nicht zu äußern gewußt oder vielmehr sich sehr wohlgesetzt, in längerer Rede, dahin geäußert, daß er sich nicht zu äußern vermöge und mit den Träumen nichts anzufangen wisse, – worauf er sich den Schatzangelegenheiten zuzuwenden versucht hatte. Aber Amenhotep hatte ihn bei den Träumen festgehalten, offenbar unwillig und unfähig, von etwas anderem zu sprechen oder von etwas anderem zu hören, und ihm nur immer begreiflich machen wollen, wie sprechend-eindringlich oder eindringlich-sprechend sie gewesen seien, – wovon er nicht abgelassen hatte, bis die Gelehrten und Wahrsager waren gemeldet worden.
Der König, erfüllt, ja besessen, wie er nun einmal war von seinem nächtlichen Erleben, hatte eine Ceremonie erster Ordnung aus dem Empfange gemacht, – der dann, der Sache nach, so kläglich verlief. Er hatte nicht nur dem Ptachemheb befohlen, dabei zugegen zu bleiben, sondern auch verordnet, daß alle Würdenträger seines Hofs, die ihn nach On begleitet hatten, der Deutungs-Audienz beiwohnten. Es war da etwa ein Dutzend sehr vornehmer Herren: der Große Hausvorsteher, der Vorsteher der Königlichen Kleider, der Palast-Oberwäscher und -Bleicher, der so betitelte Sandalenträger des Königs, eine ansehnliche Charge, der Perückenchef des Gottes, der zugleich »Hüter der Zauberreichen«, das heißt der beiden Kronen und Geheimrat des königlichen Schmuckes war, der Vorsteher aller Pferde des Pharao, der neue Ober-Bäcker und »Fürst von Menfe«, namens Amenemopet, der OberVorsteher der Schenktischschreiber, Nefer-em-Wêse, der eine Zeitlang Bin-em-Wêse geheißen hatte, und mehrere Wedelträger zur Rechten. Diese alle hatten sich in der Halle des Rats und der Vernehmung einzufinden und hielten sich in zwei gleichen Gruppen zuseiten von Pharao’s schönem Stuhl, der eine Stufe hoch unter einem von dünnen, bebänderten Pfeilern getragenen Baldachin stand. Vor ihn wurden die Propheten und Traum-Spezialisten geführt, sechs an der Zahl, die alle in näherer oder weiterer Beziehung zum Tempel des Horizontbewohners standen, und von denen ein paar auch an der gestrigen Phönix-Beratung teilgenommen hatten. Leute wie sie warfen sich nicht mehr, wie das wohl vor Zeiten üblich gewesen, vor dem Stuhle auf ihren Bauch, um die Erde zu küssen. Es war noch derselbe Stuhl wie zur Zeit der Pyramiden-Erbauer und wie noch viel früher, ein kastenartiger Sessel mit niedriger Rückenlehne, vor der ein Kissen stand; nur etwas mehr Zier und Figur war daran, als in Urzeiten. Aber obgleich der Stuhl prächtiger und Pharao mächtiger geworden war, küßte man nicht mehr die Erde vor ihnen, das gab es nicht mehr. Es stand damit wie mit der lebendigen Beisetzung des Hofstaates im Königsgrabe – es war nicht mehr guter Ton. Die Zauberer hoben nur anbetend die Arme auf und murmelten in ziemlich unrhythmischem Durcheinander eine Langformel frommer Begrüßung, worin sie dem König versicherten, daß er eine Gestalt habe wie sein Vater Rê und beide Länder mit seiner Schönheit erhelle. Denn die Strahlen seiner Majestät drängen bis in die Höhlen, und sei kein Ort, der sich dem durchdringenden Blick seines Auges entzöge, noch einer, wohin das Feingehör seiner Millionen Ohren nicht dränge, – er höre und sehe alles, und was immer aus seinem Munde hervorgehe, gleiche den Worten des Horus im
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