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Joseph und seine Brüder: Vier Romane in einem Band (Fischer Klassik Plus) (German Edition)

Joseph und seine Brüder: Vier Romane in einem Band (Fischer Klassik Plus) (German Edition)

Titel: Joseph und seine Brüder: Vier Romane in einem Band (Fischer Klassik Plus) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Mann
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Stofflichen her, das stand über allem Zweifel. Seine Aufregung war groß; sie nahm die Gestalt des Zornes an, und dieser ballte sich immer wieder zu dem Beschluß, daß die Gefahr enthüllt und erkannt werden müsse, damit man ihr begegnen könne.
    Der Erste, dem er die Träume erzählt hatte, so gut sie sich eben erzählen ließen, war der Alte gewesen, der auf der Schwelle geschlafen hatte und ihn nun ankleidete, ihm das Haar machte, das Kopftuch band. Der hatte nur verwundert den Kopf geschüttelt und dann gemeint, das komme davon, wenn der gute Gott so spät zu Bette gehe, nachdem er sich den Sinn erhitzt mit endlosen »Spekulanzien«, wie er sich volkstümlich-dümmerlich ausdrückte. Eigentlich faßte er wohl unwillkürlich die Sorgen-Träume als eine Art von Strafe dafür auf, daß Meni seinen alten Diener so lange hatte warten und wachen lassen. »Ach, Schäfchen!« hatte Pharao ärgerlich lachend gesagt, indem er ihn leicht mit der flachen Hand vor die Stirn gestoßen, und war zur Königin gegangen, der aber übel war von ihrer Schwangerschaft, und die ihm schlecht zugehört hatte. Danach hatte er Teje, die Göttin-Mutter, aufgesucht und sie am Schminktisch unter den Händen der Kammerfrauen gefunden. Auch ihr hatte er die Träume erzählt und dabei die Erfahrung gemacht, daß sie sich mit der Zeit nicht leichter erzählten, sondern daß es ihm jedesmal saurer wurde – auch hatte er wenig Trost und Zuspruch bei ihr gefunden ... Teje zeigte sich stets etwas spöttisch, wenn er mit Königssorgen zu ihr kam – daß es sich um eine solche hier handle, war ihm gewiß, und im Voraus hatte er’s ausgesprochen, – worauf sogleich auf dem mütterlichen Gesicht das mokante Lächeln erschienen war. Obgleich doch König Nebmarê's Witwe freiwillig und nach reiflicher Überlegung die Regentschaft niedergelegt und dem Sohne die Herrschgewalt seiner Mittäglichkeit übertragen hatte, konnte sie ihre Eifersucht auf diese Herrschgewalt nicht verbergen, und das Peinliche für Meni war, daß er alles merkte, also daß ihm auch jene Bitterkeit nicht entging, deren Äußerungen er gerade dadurch hervorrief, daß er sie durch die kindliche Bitte um Beistand und Rat zu besänftigen suchte. »Was kommt deine Majestät zu mir, der Abgedankten?« pflegte Teje zu sagen. »Du bist Pharao, so sei es auch und stehe auf deinen Füßen, statt auf meinen. Halte dich an deine Diener, die Wesire des Südens und Nordens, wenn du nicht weiter weißt, und laß dir von ihnen deinen Willen künden, wenn du ihn nicht kennst, aber nicht von mir, der Alten und Ausgedienten.«
    Ähnlich hatte sie sich auch jetzt zu den Träumen verhalten. »Ich bin der Macht und Verantwortung zu entwöhnt, mein Freund«, hatte sie lächelnd geantwortet, »um beurteilen zu können, ob du mit Recht diesen Geschichten so viel Gewicht beimissest. ›Verborgen ist die Finsternis‹, steht geschrieben, ›wenn reichlich ist Helligkeit.‹ Erlaube der Mutter, sich zu verbergen. Erlaube mir sogar meine Meinung darüber zu verbergen, ob diese Träume würdige Träume und deiner Stellung angemessen sind. Gefressen? Verschlungen? Die einen Kühe die anderen? Die tauben Ähren die vollen? Das ist kein Traumgesicht, denn man kann es nicht sehen und sich kein Bild davon machen, im Wachen nicht und meiner Meinung nach auch nicht im Schlaf. Wahrscheinlich hat deiner Majestät etwas ganz anderes geträumt, was du vergessen hast und an dessen Stelle du jetzt das Unbild dieser unausführbaren Gefräßigkeit setzest.«
    Vergebens hatte Meni versichert, daß er es wirklich so und nicht anders mit Traumesaugen deutlich gesehen habe, und daß die Deutlichkeit voll von Bedeutung gewesen sei, welche nach Deutung schreie. Vergebens hatte er ihr von seiner Herzensfurcht gesprochen vor der Schädigung, welche »die Lehre«, das heißt: der Atôn leiden würde, wenn die Träume ungehindert sich selber deuteten; will sagen: sich erfüllten und die Wirklichkeitsgestalt annähmen, von der sie die seherische Verkleidung gewesen. Er hatte wieder einmal die Erfahrung gemacht, daß die Mutter im Grunde kein Herz hatte für seinen Gott, und daß sie nur mit dem Verstande, nämlich aus politischdynastischen Gründen seine Parteigängerin war. In seiner zärtlichen Liebe, seiner geistigen Leidenschaft für Ihn, hatte sie den Sohn immer bestärkt; aber einmal mehr merkte er heute, wie er es längst gemerkt hatte, und wie er dank seiner Empfindlichkeit leider alles merkte, daß das nur aus Kalkül

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