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Joseph und seine Brüder: Vier Romane in einem Band (Fischer Klassik Plus) (German Edition)

Joseph und seine Brüder: Vier Romane in einem Band (Fischer Klassik Plus) (German Edition)

Titel: Joseph und seine Brüder: Vier Romane in einem Band (Fischer Klassik Plus) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Mann
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Horizont, da seine Zunge die Waage der Welt und seine Lippen genauer seien als das Zünglein an der richtigen Waage des Thot. Er sei Rê in seinen Gliedern (redeten sie mit ungleich lauten Stimmen durcheinander) und Chepre in seiner wahren Gestalt, das lebende Bild seines Vaters Atum von On in Unterägypten – »o Nefer-cheperu-Rê-Wanrê, du Herr der Schönheit, durch den wir atmen!«
    Einige wurden früher fertig als die anderen. Dann schwiegen alle und lauschten. Amenhotep dankte ihnen, sagte ihnen erst allgemein, aus welchem Anlaß er sie habe rufen lassen, und fing dann an, vor dieser Versammlung von ungefähr zwanzig teils vornehmen, teils gelehrten Personen seine vertrackten Träume zu erzählen – zum vierten Mal. Es war ihm eine Pein, er errötete und stotterte beim Erzählen. Das durchdringende Gefühl von der drohenden Bedeutsamkeit der Geschichte hatte ihn bestimmt, sie so öffentlich zu machen. Nun bereute er es, denn er verhehlte sich nicht, daß, was so ernst gewesen war und für sein innerliches Gemüt auch so ernst blieb, sich nach außen hin lächerlich ausnahm. In der Tat, wie sollten so schöne und starke Kühe es sich gefallen lassen, daß so schwache und elende sie auffräßen? Und wie und womit sollten die einen Ähren die anderen fressen? Es hatte ihm aber so geträumt, so und nicht anders! Die Träume waren frisch, natürlich und eindrucksvoll gewesen bei Nacht; am Tag und in Worten nahmen sie sich aus wie schlecht präparierte Mumien mit zerstörten Gesichtern; man konnte sich nicht damit sehen lassen. Er schämte sich und kam mühsam zu Ende. Dann sah er die Traum-Gelehrten schüchtern-erwartungsvoll an.
    Sie hatten bedeutend mit ihren Köpfen genickt, aber allmählich, bei Einem nach dem Anderen, war das nachdenkliche Nicken in die seitliche Bewegung verwunderten Kopfschüttelns übergegangen. Es seien absonderliche und kaum je dagewesene Fälle von Träumen, hatten sie durch ihren Ältesten erklären lassen; die Deutung sei mühsam. Nicht, daß sie an ihr verzweifelten – die Träume müßten erst noch geträumt werden, die sie nicht auszulegen vermöchten. Allein sie müßten um eine Bedenkfrist und um die Gnade bitten, sich zum Consilium zurückziehen zu dürfen. Auch seien Compendien herbeizuschaffen, in denen nachgeschlagen werden müsse. Es sei kein Mensch so gelehrt, die ganze Traum-Casuistik zu überblicken. Gelehrt sein, so erlaubten sie sich zu bemerken, heißt nicht, alles Wissen im Kopfe zu haben; es sei nicht Raum dafür im Kopfe; sondern es heiße, im Besitze der Bücher zu sein, in denen das Wissen geschrieben stehe. Und sie besäßen sie.
    Amenhotep hatte ihnen Urlaub zum Consilium bewilligt. Dem Hofe war der Befehl geworden, sich in Bereitschaft zu halten. Der König hatte zwei volle Stunden – so lange dauerte die Beratung – in großer Unruhe verbracht. Dann war die Versammlung erneuert worden.
    »Pharao lebe Millionen Jahre, geliebt von Ma’at, der Herrin der Wahrheit, in Erwiderung seiner Liebe zu ihr, die da ohne Falsch!« Sie stehe ihnen, den Experten, persönlich zur Seite, da sie das Ergebnis verkündeten und die Deutung brächten vor Pharao, den Schutzherrn der Wahrheit. Zum Ersten: Die sieben schönen Kühe bedeuteten sieben Prinzessinnen, die Nefernefruatôn-Nofertiti, die Königin der Länder, nach und nach gebären werde. Daß aber das fette Vieh vom klapprigen sei verschlungen worden, besage, daß diese sieben Töchter alle noch zu Lebzeiten Pharao’s sterben würden. Das solle nicht heißen, beeilten sie sich hinzuzufügen, daß die Königstöchter in jungen Jahren sterben würden. Es werde eben Pharao eine solche Dauer beschieden sein, daß er all seine Kinder, so alt sie auch würden, überleben werde.
    Amenhotep sah sie offenen Mundes an. Wovon sie sprächen, fragte er sie mit verminderter Stimme. – Sie antworteten, es sei ihnen vergönnt gewesen, die Deutung des ersten Traumes zu liefern. – Aber diese Deutung, hatte er, immer mit schwacher Stimme, erwidert, stehe zu seinem Traum in garkeiner Beziehung, sie habe überhaupt nichts damit zu tun. Er habe sie nicht gefragt, ob die Königin ihm einen Sohn und Thronfolger oder eine Tochter und weitere Töchter gebären werde. Er habe sie nach der Deutung der schmucken und der häßlichen Kühe gefragt. – Die Töchter, versetzten sie, seien eben die Deutung. Er dürfe nicht erwarten, in der Deutung des Kuhtraumes wieder Kühe vorzufinden. In der Deutung verwandelten sich die Kühe in

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