Joseph und seine Brüder: Vier Romane in einem Band (Fischer Klassik Plus) (German Edition)
Zeugnis. Nicht das wirkliche Sonnenrund droben am Himmel sollt ihr meinen, wenn ihr seinem Bilde räuchert und Lob singt, – auch dieses nicht, sondern den Herrn des Atôn, der die Glut ist in ihm, und der seine Wege lenkt‹, – das geht zu weit und ist zuviel für eine Lehre, von Zwölfen versteht es nicht Einer mehr. Nur Pharao selber versteht es, der außer aller Zahl ist, und doch soll er lehren die Zahlreichen. Dein Urvater, Wahrsager, hatte es leicht, obgleich er sich’s schwer machte. Er durfte sich’s schwer machen nach Belieben und strebte der Wahrheit nach um seiner selbst und um seines Stolzes willen, denn er war nur ein Wanderer. Ich aber bin ein König und Lehrer, ich darf nicht denken, was ich nicht lehren kann. Aber ein solcher lernt gar bald, das Unlehrbare nicht erst zu denken.«
Hier räusperte sich Teje, die Mutter, klapperte mit ihrem Gehänge und sprach, indem sie geradeaus in die Lüfte sah:
»Pharao ist zu loben, wenn er Glaubens-Staatsklugheit übt und die Einfalt der Zahlreichen schont. Darum warnte ich ihn, nicht die Anhänglichkeit des Volkes zu kränken an Usiri, den unteren König. Auch ist zwischen Schonung und Wissen kein Widerspruch, und nicht braucht Lehrertum das Wissen zu dämpfen. Nie haben Priester die Menge alles gelehrt, was sie wußten. Sie teilten ihr das Zuträgliche mit und behielten weislich im heiligen Bezirke zurück, was jenen nicht frommte. So waren Wissen und Weisheit zugleich in der Welt, Wahrheit und Schonung. Die Mutter empfiehlt, daß es so bleibe.«
»Dank, Mamachen«, sagte Amenhotep, indem er sich ihr bescheiden zuneigte. »Dank für den Beitrag. Er ist sehr wertvoll und wird für ewige Zeiten in Ehren gehalten werden. Allein wir sprechen von verschiedenen Dingen. Meine Majestät spricht von den Fesseln, die das Lehren dem Gottesgedanken auferlegt. Die deine aber von geistlicher Staatsklugheit, die Lehre und Wissen scheidet. Pharao aber will nicht hochmütig sein, und es ist kein Hochmut größer als der solcher Scheidung. Nein, kein Hochmut ist in der Welt wie der, des Vaters Kinder zu scheiden in Eingeweihte und Uneingeweihte und doppelt zu lehren: weislich für die Menge und wissend im inneren Bezirk. Sprechen sollen wir, was wir wissen, und zeugen, was wir gesehen haben. Pharao will nichts, als die Lehre verbessern, was ihm erschwert wird durchs Lehren. Und doch ist zu mir gesagt worden: ›Nenne mich nicht den Atôn, denn es ist verbesserungsbedürftig. Nenne mich den Herrn des Atôn!‹ Ich aber vergaß es durch Schweigen. Siehe jedoch, was tut der Vater seinem geliebten Sohn? Er sendet ihm einen Boten und Traumdeuter, der ihm seine Träume deutet, Träume von unten und Träume von oben, reichswichtige Träume und himmelswichtige, daß er in ihm erwecke, was er weiß, und ihm deute, was ihm gesagt wurde. Ja, wie liebt der Vater sein Kind, den König, der aus ihm hervorkam, daß er einen Wahrsager zu ihm herniedersendet, dem es von langer Hand überliefert ist, es gebühre dem Menschen, aufs Letzthöchste zu dringen!«
»Meines Wissens«, äußerte Teje kühl, »kam dein Wahrsager von unten herauf, aus einem Gefängnisloch, und nicht von oben.«
»Ah, das ist meiner Meinung nach bloße Schelmerei, daß er von unten kam«, rief Amenhotep. »Und außerdem wollen Oben und Unten vor dem Vater nicht viel besagen, der hinabgeht und zum Oberen das Untere macht, denn wo er leuchtet, ist oben. Daher deuten denn auch seine Boten untere und obere Träume mit gleicher Gewandtheit. Weiter, Wahrsager! Habe ich ›Halt‹ gesagt? Ich habe ›Weiter‹ gesagt! Wenn ich ›Halt‹ sagte, so meinte ich ›Weiter‹! Jener Wanderer aus Osten, von dem du stammst, machte nicht bei der Sonne halt, sondern drang über sie hinaus?«
»Ja, im Geiste«, antwortete Joseph lächelnd. »Denn im Fleische war er ja nur ein Wurm auf Erden, schwächer als das meiste neben und über ihm. Und doch verweigerte er’s, sich zu bücken und anzubeten auch nur vor einer dieser Erscheinungen, denn sie waren Werk und Zeugnis wie er. Alles Sein, sprach er, ist Werk, und vor dem Werk ist der Geist, von dem zeugt es. Wie könnte ich eine so große Narrheit begehen und einem Werke räuchern, sei es auch noch so gewaltig, – ich, der ich ein Zeugnis bin wissentlich, die anderen aber sind’s eben nur und wissen’s nicht? Ist nicht etwas in mir von dem, wofür alles Seiende zeugt, vom Sein des Seins, das größer ist als seine Werke, und ist außer ihnen? Es ist außer der Welt, und ist es
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